Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Stove fehlte überall, am meisten jedoch bei der englischen Korrespondenz. Kontorvorsteher Harms wollte die Lücke füllen, doch sein Englisch war so schlecht, dass er schnell wieder aufgab.
Der Einzige, der fließendes Englisch sprach, war Kapitän Westphalen. Doch den konnte man ja wohl nicht als Commis im Kontor beschäftigen. Caesar Schröder löste das Problem, indem er Moritz zwei Tage nach der Verhaftung mit Briefentwürfen zum Steinhöft schickte.
Als Moritz in Kapitän Westphalens Kontor stürzte, prallte er gegen einen Mann. Der Zusammenstoß war so stark, dass sich der Mann am Türrahmen festhalten musste, um nicht umgerissen zu werden. Er hustete ein schreckliches Husten, das aus den Tiefen seines Brustkorbs kam, er konnte fast nicht aufhören. Moritz entschuldigte sich wortreich, doch der Mann ging einfach an ihm vorbei und spuckte seinen Auswurf ins Hafenbecken.
Merkwürdig, dachte Moritz, dass der jetzt noch hustet. Im Winter, wenn die Stadt unter dem immerwährenden Nieselregen zu leiden hatte, husteten viele Leute, manchmal wachte Moritz von den Hustenattacken auf, die über den Hof schallten. Doch jetzt, wo es wärmer war und die Fenster wieder geöffnet werden konnten, husteten eigentlich nur noch die ganz alten Leute.
Kapitän Westphalen war an die Tür getreten. »Das ist Hinrich Quast«, sagte er. »Früher war er Schiffszimmermann, ein sehr guter sogar. Doch dann sank sein Schiff vor Borkum.« Der Kapitän sah dem Mann hinterher. »Er hat als Einziger überlebt, weil er sich am Mast festgebunden hatte. Als man ihn auf den Strand zog,war er mehr tot als lebendig. Die Inselbewohner haben ihn gesund gepflegt, doch seine Lunge haben sie nicht wieder hinbekommen.« Der Kapitän trat von der Tür zurück. »Auf See ist er nicht mehr zu gebrauchen. Aber bei mir als Knecht ist er genau richtig. Es ist immer von Vorteil, einen Zimmermann im Hause zu haben.«
Der Klabautermann streckte die Hand aus, Moritz reichte ihm die Postmappe.
»Kannst du Englisch?«
»Ein paar Wörter«, sagte Moritz, »was man so braucht als Tallymann.«
»Sehr gut! Bis der Commis Stove zurück ist, wirst du hier schreiben, was ich dir diktiere.«
Moritz wich erschrocken zurück. »Ich habe noch nie ein englisches Wort geschrieben.«
»Dann wirst du es lernen«, sagte der Klabautermann kühl.
In den folgenden Tagen kam es Moritz vor, als sei er bei einem immerwährenden Nachhilfeunterricht mit Cäcilie, nur eben auf Englisch. Es war niederschmetternd, wie wenig die Aussprache mit den geschriebenen Wörtern übereinstimmte. Doch mit der Zeit merkte er, dass die Geschäftskorrespondenz häufig aus den immer gleichen Sätzen bestand. Und er stellte zu seiner großen Freude fest, dass es im Englischen viel seltener Wörter mit »ie« und anscheinend kein einziges mit »ieh« gab.
Nachdem er die ersten Schwierigkeiten überwunden hatte, fühlte er sich wohl im Kontor, durch dessen offene Tür die Gerüche von Salzwasser und Teer hereinwehten, auch wenn es reichlich kalt war im Raum.
»An Bord gibt es auch keinen Ofen«, hatte Kapitän Westphalen erklärt, »doch dafür viel frische Luft. So wie hier.«
Was sich für Moritz wirklich als problematisch erwies, war das fehlende Stehpult. Er musste am Tisch sitzen und schreiben, was er als überaus unbequem empfand.
Kapitän Westphalen war und blieb ein Rätsel für Moritz. Morgens, wenn er mit den Briefentwürfen kam, schien der Kapitän hocherfreut, ihn zu sehen. Sie tranken einen goldgelben Tee zusammen, den Hinrich Quast in dünnen japanischen Teetässchen servierte. Sie plauderten ein wenig über dieses und jenes, und manchmal erzählte der Klabautermann von seinen Reisen, bevor er sich an die Übersetzung der Briefe machte. Um die Mittagszeit jedoch, wenn Moritz seine mitgebrachten Brotkanten verzehrte, wurde der Kapitän immer einsilbiger. Dann stand er stundenlang am Fenster und schaute auf den Binnenhafen hinaus. Am Nachmittag saß er in seinem riesigen Sessel und murmelte mit düsterem Blick Unverständliches vor sich hin. Das war der Zeitpunkt, an dem sich Moritz vor ihm fürchtete und froh war, wieder in die Große Reichenstraße zurückkehren zu können.
Die Arbeit am Steinhöft befreite Moritz nicht von den Pflichten eines Kontorlehrlings. Nach wie vor musste er die Tintenfässer auffüllen und die Federkiele zurechtschneiden. Lediglich das Ausfegen gestaltete sich einfacher, weil er jetzt nicht mehr Rogers Wanderdüne beseitigen musste. Doch er hätte gern
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