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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Rath
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ganze Schiffsladungen Löschsand aufgefegt, wenn er den englischen Commis damit aus dem Gefängnis hätte freikaufen können.
    An einem dieser Abende stand Cäcilie wieder im Kontor.
    »Deutschstunde!«, rief sie fröhlich.
    »Keine Deutschstunde. Ich schreibe jetzt englisch.«
    Sie schaute überrascht.
    »Es ist einfacher, als es aussieht.«
    »Dann brauchst du mich ja wohl nicht mehr«, sagte sie schnippisch und wandte sich zur Tür.
    »Halt! Ich brauche dich. Ich muss doch wieder deutsch schreiben, wenn Roger zurückkommt.«
    Sie stieg die Treppe hoch, ohne ihn zu beachten.
    »Außerdem   …« rief ihr Moritz hinterher, doch plötzlich fehlten ihm die Worte. »Na ja«, krächzte er, »es gefällt mir, wenn du mich hier besuchst.«
    Cäcilie kam die Treppe wieder herunter, trat direkt vor ihn und lächelte. »Sicherlich wolltest du gerade sagen, dass du mich leiden magst.«
    Da war er wieder, dieser Klos im Hals. »Eigentlich ja«, quetschte er hervor.
    Plötzlich war es unerträglich heiß im Kontor. Schnell ging er in die Knie und fegte ziellos auf dem Boden herum. Cäcilie lehnte sich gegen Rogers Schreibpult und schaute ihm zu.
    »Wie gefällt es dir da unten am Hafen?«
    »Gefällt mir gut. Nur Kapitän Westphalen ist manchmal komisch.«
    »Komisch? Ist er ein Clown?«
    »Nein, eher seltsam. Morgens ist er ganz fröhlich. Aber nachmittags schaut er immer so düster. Irgendwie gefährlich.«
    Cäcilie schwieg lange. Dann schniefte sie, faltete die Hände und blickte zu Boden. »Er schaut nicht böse«, sagte sie leise, »er schaut traurig.«
    »Wieso traurig? Er sitzt am Hafen zwischen seinen Erinnerungen und kann die Schiffe sehen. Besser kann es ein alter Kapitän doch wohl nicht haben.«
    »Du machst ihn traurig, sagt Mama.«
    Mit Getöse fiel die Kehrschaufel zu Boden. »Das kann nicht sein. Er sagt mir immer, dass er mit meiner Arbeit zufrieden ist.«
    »Es ist nicht die Arbeit. Du bist es. Er hat zu Mama gesagt, dass du ihn so sehr an seinen Sohn erinnerst.« Ihre Stimme war jetzt so leise, dass er sich zu ihr hinbeugen musste. Sie schniefte wieder. »Ich kenne die Geschichte von Onkel Harry. Ich hoffe, dass mir nie im Leben so etwas passiert.«
    Cäcilie trat ans Fenster. Sie blickte hinaus, wie es auch ihr Vater tat, wenn er nachdachte. Dann nestelte sie am Beutelchenan ihrem Handgelenk und zog ein seidenes Taschentuch hervor. Erst tupfte sie sich die Augen, dann schnäuzte sie sich   – lautstark und undamenhaft. »Onkel Harry war früher Kapitän eines englischen Klippers. Er brachte Tee von Ceylon. Sicherlich hat er damals gute Geschäfte gemacht, denn er kaufte sich von seinen Ersparnissen zwei Schiffe, als er sich hier in Hamburg niederließ. Er tat sich mit meinem Vater zusammen, und die beiden gründeten das Handelshaus Schröder und Westphalen.« Wieder tupfte sie ihre Augen. »Papa und Onkel Harry passen hervorragend zueinander. Wie du ja weißt, hat jedes Handelshaus, das etwas auf sich hält, ein oder zwei eigene Schiffe.«
    Moritz war zu ihr ans Fenster getreten. Es machte ihn ganz traurig, dass ihre Stimme so kraftlos klang.
    »Irgendwann beschloss Mama, dass Onkel Harry heiraten sollte, obwohl er das übliche Heiratsalter weit überschritten hatte. Sie hörte sich um und fand schließlich die Tochter eines englischen Kaufmanns. An ihre Hochzeit kann ich mich nicht erinnern, ich war noch zu klein. Aber Justin, ihren Sohn, kannte ich. Wir spielten oft miteinander.« Cäcilie lächelte wehmütig. »Er war ein süßer kleiner Junge, der sich für alles interessierte, was mit Schiffen zu tun hatte. Wenn Onkel Harry ihn mit an Bord der H ENRIETTE nahm, war die Mannschaft aus dem Häuschen. Der Bootsmann nahm ihn auf die Schultern und trug ihn an Deck herum.« Sie wandte sich zu Moritz und schaute ihn hilfesuchend an. »Eines Tages reiste Frau Kapitän Westphalen mit Justin nach England, um ihre Verwandtschaft zu besuchen. Onkel Harry hatte ihnen einen Platz auf einem Segler reserviert, der ihm komfortabel und stark gebaut schien.«
    Ihre Stimme wurde noch leiser. Moritz ahnte, was gleich kommen würde. Wegen der Gefahr einer Ohnmacht legte er den Arm um ihre Schulter.
    »Das Schiff kam nicht in England an, es sank noch in der Nordsee. Alle Leute ertranken, bis auf einen Mann.«
    Jetzt weinte Cäcilie jämmerlich. Sie fiel nicht in Ohnmacht, klammerte sich aber fest an Moritz.
    Wenn ich der Sohn von Kapitän Westphalen gewesen wäre, dachte er, dann würde ich jetzt tot im Wasser liegen. Er

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