Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
über seine Lippen. Es schmeckte süß, fand er, aber auch, dass an einem Kuss nicht annähernd so viel dran sei, wie die Leute immer erzählten.
»Jetzt sind wir verlobt«, flüsterte sie.
Moritz betrachtete Cäcilie. Sie war sehr schön, wie sie so dastand, mit geschlossenen Augen, hinter sich die Kerze, die einen Heiligenschein um ihre blonden Haare zauberte. Er tastete nach ihrer Hand. So standen sie sich gegenüber – im Keller, in dem es nach Frühlingsblumen und Sauerkraut roch.
»Etwas stimmt nicht«, sagte er, »das war doch nur ein verbotener Kuss auf der Kellertreppe. Danach ist man bestimmt nicht verlobt. Und außerdem ging es viel zu schnell, ich habe fast nichts gespürt.«
Cäcilie ließ seine Hand los.
»Vielleicht könnten wir eine Stufe tiefer gehen und es noch mal probieren, Cäcilie.«
»Du bist unglaublich dreist, Moritz Forck! Du bis ja schlimmer als die Leutnants des Bürger-Militärs«
Sie raffte ihre Röcke und rauschte nach oben. Moritz setzte sich auf die Treppe und schmunzelte. Er konnte beim besten Willen nicht erkennen, was an einem zweiten Kuss dreist sein sollte, wo sie sich doch gerade verlobt hatten.
9
Anfang März brach wieder eine schwere Zeit für die Männer der Stadt an. Die Frauen rissen sämtliche Fenster auf, bewaffneten sich mit Schrubber und Eimer und überschwemmten die Stuben mit Seifenwasser. Wer sich da nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte, wurde von einer Sintflut hinweggespült.
Der Frühjahrsputz ging auch an den Bediensteten im Speicher der Familie Schröder nicht spurlos vorüber. Madame hatte durchgesetzt, dass das Kontor gesäubert werden musste. Eines Vormittags wurden alle nach draußen gescheucht mit dem drohenden Hinweis, auf keinen Fall vor elf Uhr wieder im Kontor zu erscheinen. Dann rückten die Kochfrau, das Hausmädchen und andere weibliche Hilfskräfte an und machten sich mit Scheuersand, grüner Seife und Essigessenz über die Fußbodendielen und insbesondere über die Tintenflecke her.
Diesen Hinauswurf aus den eigenen Räumen ertrugen Caesar Schröder und Alexander recht angenehm in einem Kaffeehaus in der Nähe der Börse. Harms war nach Hause gegangen und Moritz schlenderte ziellos durch die Stadt. Als die Verbannten schließlich zur vereinbarten Zeit wieder im Kontor erschienen, gesellte sich auch Kapitän Westphalen zu ihnen. Offensichtlich wollte der etwas mit seinem Partner besprechen. Als er jedoch den gescheuerten, nassen Fußboden sah und den scharfen Geruch einatmete, drehte er sich empört auf dem Absatz um und verschwand mit dem Hinweis, dass sich keine von den Frauen erdreisten solle, ihn mit Schrubber und Feudel auf dem Steinhöft heimzusuchen.
Auch Moritz wäre gerne aus dem feuchten Dunst des Kontors in die frische Luft des Hafens geflüchtet, doch ausgerechnet heute gab es nichts zu übersetzen. So holte er das Blatt Papier mit den untauglichen Schreibversuchen aus seinem Pult, tauchte die Federins Tintenfass und machte einen dicken Strich neben die bereits vorhandenen Striche. Jeder neue Strich bedeutete einen Tag mehr, den Roger Stove im Gefängnis saß, insgesamt waren es jetzt sieben. Moritz klappte das Pult zu, faltete die Hände und betete für eine baldige Freilassung seines Freundes.
Caesar Schröder war nach dem Kaffeehausbesuch noch in der Stadt unterwegs gewesen, doch pünktlich zum Mittagessen erschien er wieder im Speicher. Er sprach das Mittagsgebet und empfahl den Commis Roger Stove ausdrücklich der Gnade Gottes. Madame schaute fragend, sagte jedoch nichts. Nach dem Essen, als die Kochfrau und das Hausmädchen auf dem Weg hinunter in die Küche waren, faltete der Hausherr sorgfältig seine Serviette, räusperte sich und schaute mit ernstem Blick in die Runde.
»Ich war heute bei Johann Christian Grapengiesser, dem Capitain der Nachtwache. Wir kennen uns aus alten Zeiten, als wir im gleichen Corps dienten. Wir sind freundschaftlich verbunden, wenn ich so sagen darf.«
Cäcilie war wie elektrisiert. Sie nestelte nervös an der Seidenmanschette ihres Ärmels, die Mutter schien es nicht zu bemerken.
»Johann Christian hat mich über den Ablauf des Abends informiert, an dem der Werftbesitzer Elbrand ermordet wurde. Roger Stove und Elbrand waren in der Patriotischen Gesellschaft gewesen, der Werftbesitzer hat dort seine neueste Erfindung vorgestellt.«
»Die Hebemaschine«, stöhnte Alexander.
Caesar runzelte die Stirn ob dieser Unterbrechung, fand aber schnell den Faden wieder. »Offensichtlich
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