Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
hereinzulassen. Leise, mit angehaltenem Atem tasteten sich die Forcks die schlüpfrigen Stufen hinunter. Ein moderiger Geruch wehte ihnen entgegen, irgendwo im Raum tropfte es. Das Erste, was Moritz sah, war ein Kerzenstummel auf einer fleckigen Tischplatte. Davor saß ein unrasierter Mann, der sich mit missmutigem Gesicht über sein linkes Bein strich. Ihm gegenüber kauerte ein sehr dünnes Mädchen, bekleidet mit einem fleckigen, langen Hemd. Moritz schätzte sie auf vielleicht acht Jahre. Mit großen, erschreckten Augen blickte sie auf die unangemeldeten Gäste. Der Mann bemerkte nichts, er starrte auf die Flasche, die vor ihm auf dem Tisch stand.
Moritz fühlte sich elend, sein Magen war in hellem Aufruhr. Der Mann, der Keller, alles war ihm unheimlich. Es schien, als wäre hier alle Farbe aus der Welt verschwunden. Die Wände, die Decke, den Tisch, selbst den Mann nahm er nur in einer Abstufung von unterschiedlichen Grautönen wahr. Er registrierte dunkelgraue Flecken an der Decke, schwarze Schattierungen an den Wänden, die schmutzige Kleidung des Mannes und sein graues Gesicht mit den dunklen Bartstoppeln.
Inzwischen hatte der Schauermann die Eindringlinge bemerkt. »Was wollt ihr«, zischte er undeutlich zwischen den Zähnen hervor. »Hier gibt’s nix. Hab selber nix.« Er rülpste ungeniert, eine Alkoholfahne zog durch den Raum. »Wenn ihr klaun wollt, geht zum Jungfernstieg. Da gibt’s viel zu holn.« Er lachte gehässig.
»Wir klauen nicht«, sagte Johann Forck. »Wir brauchen eine Information von dir.«
Der Mann kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Polizei?«
»Keine Polizei«, sagte der Quartiersmann. Er wischte ein paar Lumpen von einem Schemel und setzte sich. »Wir brauchen private Informationen.«
»Was soll ich mit dir reden? Ich red nich mit jedem.«
»Deshalb!« Der Quartiersmann hielt einen halben Taler hoch.
Der Mann war schnell. Seine Hand schoss vor und grabschte nach dem Geldstück. Doch Johann Forck war auf der Hut, blitzschnell schloss er die Faust.
»Unser Geschäft lautet: erst Informationen, dann Geld.«
Inzwischen war Herta Forck, die an der Treppe gewartet hatte, in den Raum gekommen. Sie sah sich angeekelt um und murmelte etwas Abfälliges. Dann inspizierte sie die Lumpen auf dem Bett, den Müll in der Ecke, den Eimer mit dem schmutzigen Blechgeschirr und die feuchten Wände des Kellers. Lange ruhte ihr Blick auf dem verschreckten Mädchen. Schließlich richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Das wird hier nichts mehr!«, sagte sie mit lauter, klarer Stimme.
Moritz horchte auf. Der Satz hatte einen ungewohnt bestimmenden Klang. Es schien ihm, als würde auch der Vater die Mutter erstaunt mustern.
»So ein Saustall!«, schimpfte Herta Forck los. »Alles verwahrlost. Man erstickt im Dreck. Sicher gibt es hier Ratten.«
Der Mann am Tisch schaute verständnislos. »Natürlich gibt’s Ratten hier. Im Keller gibt’s immer Ratten.«
»Hast du wenigstens eine Rattenfalle aufgestellt?«
»Rattenfalle?« Der Mann lachte höhnisch. »Das bringt gar nix. Die sind überall. Wenn’s regnet, kommen die zu Dutzenden –«
Mit einer schroffen Handbewegung schnitt ihm Herta Forck das Wort ab. »Das Kind braucht saubere Kleidung. Und etwas zu essen. Sicherlich hat es Hunger.«
Fürsorglich legte sie den Arm um die knochigen Schultern des Mädchens. Das lehnte seinen Kopf leicht gegen die fremde Frau.
»Das Essen besorg ich«, begehrte der Mann auf. »Wir könn uns selber ernährn, wir sind ehrbare Leute.«
Herta Forck kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Wo ist deine Frau?«
Der Mann schaute auf die Tischplatte. »Gestorbn. Vor drei Monaten. An Influenza. Sie hat sich davongestohln und uns zurückgelassn.«
»Du sollst dich schämen!«, tadelte Mutter Forck. »So spricht man nicht über eine Tote.«
Betretenes Schweigen.
»Wo arbeitest du?«, fragte Johann Forck.
»Ich bin Tagelöhner. Bin mal hier, mal dort auf’m Schiff.«
»Ich hab dich noch nie im Hafen gesehen.«
Der Mann rieb sich über das linke Bein und verzog das Gesicht. »Ich hatt ein Unfall. Kann nur noch leichte Arbeit annehm.«
»Ein Unfall bei der Arbeit?«
»Bin hier die Treppe runtergefalln. Ist so glatt auf’n Stufn.«
»Der war stinkbesoffen«, kommentierte Jan.
Der Mann sagte erst nichts, doch dann bäumte er sich auf. »Haut ab! Ich will euch nich mehr sehn. Und wehe, wenn ihr wiederkommt.«
Er wollte aufstehen, doch er
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