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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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angesichts der Erinnerung an die Geschichten, die mir Valja aus ihrer Kindheit erzählt hat. Geschichten, an die zu denken ich nicht ertrage, die mich hilf – und machtlos zurücklassen. Als ich die Augen wieder öffne, trifft mich Maschas Blick.
    »Tu, was du tun musst, Alexei. Bitte. Finde sie.«
    Ich habe keine Ahnung, wie ich ein Mädchen im Gewimmel der Millionenstadt Moskau finden soll. Aber ohnmächtig bin ich nicht, diesmal nicht.
    »Warum ist Semerko verdächtig?«
    »Weil er ein ...« Sie bricht ab, offenbar überlegt sie, wie sie sich ausdrücken soll. »Semerko war immer schon seltsam, schon als Kind. Und dann, in der Armee, litt er unter der Dedowschtschina, und dadurch wurde es noch schlimmer.«
    Ich weiß, was sie meint. Ich erinnere mich daran, während einer Aufklärungsmission einmal eine solche Szene zu Gesicht bekommen zu haben. Es war ein sumpfiges Feld bei Nacht, und ich hörte laute Stimmen und Rufe, die aus einer verlassenen Scheune kamen. Drinnen schaukelte ein Kreis von Laternen in den Händen betrunkener Soldaten, von denen die meisten Kontraktniki waren, Vertragssoldaten; wie moderne Piraten sahen sie aus mit ihren Kopftüchern, den halbrunden Sonnenbrillen, den Tarnjacken mit abgerissenen Ärmeln und den im Gefängnis tätowierten Muskeln. In der Mitte des Kreises ein Rekrut mit Pickeln und rotblondem Flaum, gefesselt und geknebelt, mit irrem Blick auf den nächsten Tritt wartend, auf das Zischen eines heißen Messers oder den quälenden Griff einer Nadelzange – wütende, verwirrte, gelangweilte Männer denken sich so manches aus, um andere zu verletzen und zu erniedrigen. Er war Russe, also einer der ihren, aber irgendetwas hatte er verbrochen – vielleicht ein schiefer Blick oder ein Lispeln – , das den Mob glauben ließ, er habe es nicht anders verdient. Ich konnte ihn retten, aber er war nur einer von vielen Tausenden, und den meisten von ihnen kam niemand zu Hilfe.
    Mascha hustet. »Irina, Semerkos Mutter, hat mir erzählt, dass er geschlagen wurde, vielleicht auch Schlimmeres, und dass er ein Teufel war, als er aus dem Krieg zurückkehrte.«
    »Weiß sie, wie sie ihn erreichen kann?«
    »Das vermutlich nicht, aber vielleicht irgendetwas anderes.«
    Mascha legt ihr Strickzeug beiseite und geht zur Tür, wo sie ein rotes Tuch um ihr Haar wickelt und einen schweren Mantel vom Haken nimmt. Ich stehe auf und helfe ihr hinein.
    Es ist zehn Uhr morgens. Ich muss Golko anrufen und unsere Fahrt nach Wladimir verschieben.

14
    Draußen vor Maschas Haus dringt die bleiche Sonne zögernd durch die Wolken und wirft Streifen in die dunklen Schatten. Mascha lehnt sich an mich, müde vom Treppensteigen, und benutzt mich als Schutzschild gegen den Wind. Vom Schnee geräumte Bürgersteige umgeben den kleinen Park zwischen den Häusern ihres Wohnkomplexes. Über den leeren Park ragen die kahlen Äste einer riesigen Eiche, die von blätterlosen weißen Birken umringt ist. Der Weg führt zu einer Straße voll von Autos, Lastern, Rollern und Fußgängertrauben. Ich sehe nirgends rote Barette.
    Wir fahren mit der Rolltreppe hinunter zur Metro und schieben uns in die überfüllte Bahn. Ein Blick von mir zwingt einen glatzköpfigen Mann mit schwarzen Büscheln über den Ohren, seinen Platz auf der Bank für Mascha zu räumen. Ich bleibe stehen und greife nach dem Riemen über meinem Kopf, dann rauschen die Türen zu und der Zug schaukelt die Schienen entlang.
    Zwei Stationen weiter steigen wir im eleganten Petrowski-Viertel aus und laufen noch ein Stück durch die Straßen. Nasser Schnee fällt auf uns herab, während die Sonne hinter dichten Wolken verborgen bleibt. Abgesehen von Maschas gelegentlichem »Hier lang« reden wir nicht, aber sie presst sich an mich, als wir von der morgendlichen Menschenmenge hin und her gestoßen werden. Sie riecht würzig-süß nach Ingwer. Wir kommen zu einem hellblauen Mietshaus, dessen Farbe verblichen aussieht, obwohl es eine der modernen architektonischen Grässlichkeiten unseres Bürgermeisters und erst ein paar Jahre alt ist.
    »Hat Irina Geld?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Ihre Tochter hat hier eingeheiratet.«
    Der Fahrstuhl bringt uns zwölf Stockwerke hoch in einen kurzen Flur mit nur einer Tür. Auf Maschas Klopfen lässt uns ein Dienstmädchen in einen riesigen Eingangsbereich eintreten und bittet uns zu warten. Nach ein paar Minuten signalisieren klackende Absätze die Ankunft einer Frau, deren rot getöntes Haar mit Haarspray zu einer helmartigen Frisur

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