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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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Ölgesellschaft.«
    »Warum sollte Abreg so etwas tun?«
    Ich erinnere mich daran, direkt nach der Explosion etwas Ähnliches gedacht zu haben. Und während ich darüber nachdenke, kommt mir eine andere Idee, genau im selben Moment, als Valja sie äußert.
    »Denkst du an Rjasan?«, fragt sie.
    Ich gehe in meiner Erinnerung zurück in die Zeit vor meinem ersten Einsatz, als 1999 tschetschenische Separatisten für eine Reihe von Anschlägen auf Wohnhäuser verantwortlich gemacht wurden, bei denen dreihundert Menschen ums Leben kamen. Die Anschläge galten als Auslöser des zweiten Tschetschenienkrieges – des Krieges, der Putin an die Macht brachte – , obwohl keine terroristische Gruppe sich dazu bekannte und es nur eine oberflächliche offizielle Untersuchung gab. Aber die Fragen tauchten später auf, nach dem sogenannten Vorfall von Rjasan.
    Ein Nachtschwärmer in einem Apartmenthaus in Rjasan beobachtete, wie Fremde schwer beladene Säcke in den Keller schleppten. Er verständigte die örtliche Polizei. Es stellte sich heraus, dass die Männer vom FSB waren und in den Säcken Hexogen – derselbe hoch entwickelte Sprengstoff wie bei den Anschlägen auf die Wohnhäuser – und eine Sprengkapsel transportierten. Der FSB behauptete, die Männer hätten an einer Zivilschutzübung teilgenommen. Der Großteil der Bevölkerung gab sich mit der Erklärung zufrieden. Doch die Geschichte war ein gefundenes Fressen für all jene Verschwörungstheoretiker, die die Meinung vertraten, Jelzin habe den Geheimdienst beauftragt, ein weiteres Blutbad zu veranstalten, um die Kriegsstimmung anzuheizen. Ich weiß nicht, inwiefern das stimmt, aber kurz nachdem die Bomben hochgingen, rollten unsere Panzer in Tschetschenien ein.
    Ich ertappe mich dabei, unbewusst den Kopf zu schütteln und gemäß der ewigen Litanei des Generals zu denken, Russland werde schon nichts Falsches tun. »Die Hunde vom FSB beißen jeden, aber selbst sie würden nicht so tief sinken.«
    Valja kichert. »Ich bin froh, dass du so ein Optimist bist.«
    »Was machst du in Grosny?«
    Sie antwortet nicht gleich. »Ich bin hergekommen, weil ich das Gefühl hatte, etwas ... im Stich gelassen zu haben. Ich bin nicht hier, um zu kämpfen. Die, die noch kämpfen, sind Fanatiker, allesamt. Ich versuche, den Menschen von meinem teip zu helfen, die nichts zu essen haben und keinen Arzt und keine Medikamente. Ich kann zwar nicht viel tun, aber ich komme mir hier nützlicher vor als überall sonst.« Sie zögert. »Außerdem habe ich ein paar Leute kennengelernt, die sich für die Vereinigung einsetzen«, sagt sie schließlich durch das Knistern.
    In den Neunzigern schlugen alle Versuche, den Nordkaukasus zu vereinen, fehl. Grenzstreitigkeiten und Blutfehden führten zu extremen internen Konflikten, die durch Aufhetzer aus dem Kreml noch verschärft wurden. Ein hoffnungsloser Fall – genau das Richtige für Valja.
    »Dann sind wir also beide Optimisten.«
    »Nein«, widerspricht sie und lacht, diesmal richtig. »Wir sind beide verrückt.«
    »Hast du irgendwas gehört, wo Abreg sich versteckt?«
    »Spekulationen ... er ist sowieso nie lange an einem Ort...«
    »Die Verbindung bricht ab!«
    »Ich versuche, es rauszufinden...«
    »Sei vorsichtig!«
    Aber am anderen Ende der Leitung herrscht bereits Stille, und ich glaube nicht, dass sie meine letzten Worte gehört hat. Nicht, dass meine Warnung irgendetwas bewirkt hätte. Was Valja sich in den Kopf gesetzt hat, zieht sie durch.
    Ich klappe das Nokia zu und sehe mich jetzt erst um. Ich bin in einer Schneiderei. An den Wänden und auf den Tischen befinden sich bunte Stoffballen und Bänder, kleine Schachteln voller Knöpfe, Perlen und Besätze liegen vor dem mit hängenden Schultern dastehenden Eigentümer. Im Raum dahinter steht ein langer Tisch mit einer Reihe von Nähmaschinen und den Frauen, die sie bedienen. Als der Mann fragt, ob er mir weiterhelfen könne, kaufe ich einen Streifen graubraunes Wachstuch und werfe es mir über die Schultern, zum Schutz gegen den Schnee, der draußen immer dichter fällt.
    Die roten Barette sind nirgends in Sicht. Aus reiner Routine gehe ich Wege doppelt, warte hinter Straßenecken und bleibe regelmäßig stehen, um sicherzugehen, dass ich keine unerwünschten Gäste mit zu Mascha bringe. Währenddessen versuche ich, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Valja wieder in Tschetschenien ist, wo sie damals aufs Grausamste misshandelt wurde, zuerst von ihrem inzestuösen Vater und seinen

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