Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
schaden.
Schließlich wurden Pitlit und sie entlassen und durften etwas zu essen zu sich nehmen, bevor man sie zurück in Caryas Gemach geleitete, wo sie warten sollten, bis der Mondkaiser sie rufen ließ.
»He, dein Zimmer ist viel schöner als unseres«, bemerkte Pitlit, als sich die Tür hinter ihnen schloss. Er ging zu dem großen Bett hinüber und prüfte die Matratze.
»Es war trotzdem ein Gefängnis«, sagte Carya. »Am Anfang ohne Gitter, am Ende mit.« Sie trat ans Fenster und schaute auf den Park hinaus. Das Unwetter war weitergezogen, doch die Wolken waren geblieben, und alle Bäume und Sträucher glänzten vor Nässe. Diener schritten bereits die Wege entlang und entzündeten die Laternen für die Nacht. Für sie war es ein Abend wie jeder andere. Für einen Großteil der Höflinge auch. Es gab ein wenig mehr zu tuscheln in diesen Stunden. Der Tod eines Ministers, einer Diplomatin und dreier Gardisten war kein ganz alltägliches Ereignis, auch auf Château Lune nicht. Dennoch würde sich nichts ändern. Die Intrigen, die Liebeleien und das Buhlen um die Gunst des Herrschers würden einfach weitergehen.
»Du siehst aus, als wolltest du lieber heute als morgen hier abhauen«, stellte Pitlit fest.
Carya wandte sich vom Fenster ab. »Das ist auch so«, bestätigte sie ihm. »Ich habe alles erfahren, was ich hier in Erfahrung bringen konnte. Und kaum etwas davon war gut.«
»Hast du deshalb versucht, den Kaiser umzubringen? Ich meine, die Geschichte, dass Cartagena dir Drogen gegeben hat, um dich zur willigen Killerin zu machen, mag diesen General und Minister de Funès überzeugt haben, aber das war doch Unfug. Du warst wieder in diesem Kampfrausch, wie im Dorf der Ausgestoßenen und in der Straße von Gibral-Taar, als du das Schiff der Spaniarden gesprengt hast.« Der Straßenjunge setzte sich aufs Bett und hopste mit dem Hintern prüfend darauf herum. »Mann, das ist echt weich. Darf ich heute Nacht bei dir schlafen?« Er grinste sie breit an.
»Vergiss es«, erwiderte Carya, aber sie musste doch ein wenig lächeln. Sie kannte niemanden, der wie Pitlit die Kunst beherrschte, im einen Moment noch ernst zu sein und im nächsten vollkommen albern. »Rutsch mal zur Seite«, bat sie ihn.
Der Junge gehorchte, und sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante. »Du hast recht«, gestand sie ihm mit vertraulich gesenkter Stimme. »Es war Unfug. Aber ich konnte den beiden auch nicht die Wahrheit sagen.«
»Und die lautet?«, fragte Pitlit.
Prüfend musterte Carya ihn. Er wirkte jetzt wieder sehr gefasst, ja beinahe erwachsen. »Also schön«, sagte sie. »Du sollst es wissen.« Und so erzählte Carya ihm von dem Zusammenstoß mit Cartagena und dem Gespräch mit Julion Alecander in den Gemächern von Magister Milan.
Als sie fertig war, starrte Pitlit sie so entgeistert an, als sehe er sie zum ersten Mal. »Wenn wir jemals nach Hause kommen«, murmelte er tonlos, »erinnere mich daran …«
»Ja, schon klar«, unterbrach ihn Carya. »Schreiber aufsuchen. Abenteuerbuch. Ganz ehrlich? Langsam spiele ich selbst mit dem Gedanken.«
Die Uhr auf dem Korridor vor ihrem Zimmer schlug gerade zur achten Stunde, als sie von den Gardisten wieder abgeholt wurden. »Wohin gehen wir?«, wollte Pitlit wissen.
»Der Mondkaiser wird sein Urteil sprechen«, antwortete der eine Gardist.
Sie begaben sich ins Erdgeschoss. Statt jedoch den Korridor hinunterzulaufen, in dem sich Jonans und Pitlits Zimmer befand, bogen sie ab und betraten durch eine Doppeltür einen breiteren Gang mit hoher, gewölbter Decke, der sich einmal quer durch den Südflügel zu erstrecken schien. Etwa auf halber Höhe öffneten ihre Begleiter ein Portal zur Linken, und durch einen weiteren Gang und zwei Türen erreichten sie schließlich einen großen, annähernd quadratischen Saal.
Dem Erscheinen nach handelte es sich um einen Versammlungssaal, der aber auch als Gerichtsraum dienen konnte. Wie bei einem Amphitheater zogen sich Stuhlreihen entlang dreier Wände, die in Stufen bis hinunter zu einem Halbrund führten, auf dem ein Podest aus Marmor stand. Auf diesem erhob sich, über eine breite Treppe erreichbar, ein eindrucksvoller, im Augenblick noch leerer Thron, der von einem prächtigen blausilbernen Baldachin beschirmt wurde. Königsblaue Banner mit dem Wappen des Mondkaisers flankierten ihn zu beiden Seiten, und eine Abordnung Elitegardisten in Vollpanzerung hielt um das Podest stumme Wacht.
Wenngleich der Mondkaiser selbst noch fehlte, hatte sich
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