Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
Bewegungen waren schlaksig; so, als sei er zu schnell gewachsen. In der Sonne leuchtete sein Haar kupfern. Naomi spürte seinen neugierigen Blick. Mit einem Lächeln rückte sie den Hocker zurecht und setzte sich.
Sammy musterte Naomi. Er hatte sie durch die Stadt joggen sehen. Sofort hatte er gewusst, dass er sie kennen lernen musste. Ihr dunkles Haar, die geschmeidigen Bewegungen, ihr ganzes Verhalten hatten seine Aufmerksamkeit erregt. Er war ihr bis ins Café gefolgt, um die Möglichkeit zu haben, sie aus der Nähe zu betrachten. Ihre grünen Augen nahmen ihn gefangen. Er hatte sich tatsächlich an Gillbert vorbeigedrückt. Darum war er so dicht bei ihr gestanden, als sie sich plötzlich umdrehte. Jetzt saß sie vor ihm, und ihm fiel kein Gesprächsthema ein. Außerdem käme er zu spät zur Arbeit. Zum Teufel damit. Dieses Mädchen war wichtiger, als sein lausiger Job.
Naomi war die Stille unangenehm. »Bist du hier aufgewachsen?« Etwas Besseres war ihr auf die Schnelle nicht eingefallen. Mit Sicherheit war er hier zu Hause. Die Leute kannten ihn.
»Nein«, antwortete Sammy und nippte an seinem Kaffee. »Eigentlich ziehe ich einfach durchs Land und arbeite, wo es Arbeit für mich gibt. Bevor der Winter kommt, hau´ ich ab in den Süden. Die Winter in Neuengland hält nur ein Bär aus.« Er lachte glucksend. »Was hat dich hierher verschlagen? Die Uni?«
Naomi trank einen Schluck Kaffee. »Der Zufall. Die Uni von Maine war die einzige, die mir für dieses Semester ein Stipendium gewährt hat. Da habe ich zugegriffen. Eigentlich wollte ich nach Hawaii.«
Sammy zog die Augenbrauen hoch und pfiff durch die Zähne. »Hawaii. Da war ich noch nicht. Was studierst du?«
Naomi fühlte sich langsam wohler. Das Eis war gebrochen. Sie erzählte ihm von der bevorstehenden Aufnahmeprüfung und dem geplanten Sportstudium. Sammy sprach ihr Mut zu.
»Jetzt muss ich wirklich los. Sonst kriege ich Ärger.« Sammy warf den Pappbecher in den Mülleimer und winkte ihr zum Abschied zu. »Bis später!«
Naomi joggte am Ufer entlang. Sammy schien nett zu sein. Seine Einladung zum Essen hatte sie überrascht und zögern lassen. Doch alleine in ein Restaurant zu gehen, brächte sie nicht über sich. Sie hätte im Hotel zu Abend essen können, aber da hätte sie sich zu Tode gelangweilt. So lernte sie die Stadt kennen. Sammy war unterhaltsam und sah dazu noch gut aus. Er zog planlos durch die Welt. Das komplette Gegenteil von ihr. Sie hatte noch nicht viel von der Welt gesehen. Mit Sicherheit konnte er tolle Geschichten erzählen. Irgendwann musste sie ihre Schüchternheit los werden, wenn sie nicht jeden Abend alleine verbringen wollte.
Sie lief ziellos durch den Wald in Richtung Norden, bis sie auf eine Lichtung traf und überrascht stehen blieb. Der Ort hatte etwas Magisches. Das einfallende Sonnenlicht zauberte helle und dunkle Streifen auf die Erde. In der Mitte der Lichtung stand eine knorrige Ulme. Sie überragte die anderen Bäume, die in gebührendem Abstand zu ihr standen. Es schien, als wage kein anderer Baum, in ihrem Schatten zu wachsen; so, als müsse jeder aus Respekt vor dieser alten Ulme Abstand halten. Naomi näherte sich dem Baumriesen. Er strahlte eine unbestimmte Ruhe aus. Sie setzte sich auf eine Wurzel, lehnte sich an den Stamm und schloss die Augen. Oma würde es hier gefallen, dachte sie. Naomi riss die Augen auf. Oma. Verdammt! Sie hatte versprochen, sich sofort morgens nach dem Aufstehen zu melden. Nun war es fast Mittag, also früher Abend in Deutschland. Großmutter würde sich Sorgen machen. Sie sprang auf, sah sich um und rannte nach Süden. Bevor sie die Lichtung verließ, drehte sie sich noch einmal um. Ihr war plötzlich, als wäre sie nicht mehr alleine im Wald. Ihre Augen suchten zwischen den Bäumen nach einer Bewegung. Nachdem sie nichts Ungewöhnliches entdecken konnte, drehte sie sich um und eilte davon.
Naomi fand den Rückweg, ohne auf den Kompass zu sehen. Ihr Orientierungssinn verließ sie selten. Trotzdem hatte sie sich angewöhnt, Großmutters Geschenk nicht zu vergessen. Früher, um Omas vorwurfsvollem Blick zu entgehen und nun, weil das Geschenk sie an Oma erinnerte. Problemlos fand sie den Rückweg zum Hotel.
Auf der Uhr an der Rezeption war es fast zwölf. War sie so lange auf der Lichtung gewesen? Ihr war es nur wie wenige Minuten vorgekommen. Oma säße mit Sicherheit neben dem Telefon. Das gab Ärger. So viel stand fest.
Mit schlechtem Gewissen fragte sie die Empfangsdame
Weitere Kostenlose Bücher