Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
Einwohner diese Kälte nur aus? Die Häuser sahen aus, als ließen sie den kleinsten Windstoß durch die Ritzen fahren.
Vor den meisten Gebäuden standen Zucker-Ahornbäume. Die ersten Blätter sprossen. Bald würden die Häuser für neugierige Blicke hinter dem dichten Blätterwerk verborgen bleiben, bis der Winter die Bäume wieder in braune Skelette verwandelte. Auf den Indian Summer freute sie sich. Es wäre herrlich hier zu trainieren, während sich die Wälder langsam in ein buntes Leuchtfeuer verwandelten.
Gedankenversunken lief sie weiter. Es war noch früh am Morgen. Trotzdem schien bereits alles auf den Beinen zu sein. Menschen lehnten an ihren Autos, schwatzten, packten Einkäufe in den Kofferraum oder fuhren Kinder zur Schule. Naomi ließ sich auf eine Parkbank fallen und sah sich um. Sie entdeckte die kleinen Restaurants, an denen sie gestern vorbeigefahren war. Spektakulär war der Ort nicht. Es war ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben schien. Mit etwas Glück würde es lebendiger werden, wenn die Studenten kämen. Kurz schoss ihr durch den Kopf, was wohl jemand aus dieser Gegend über das Dorf dächte, aus dem sie kam. Dort war auch nichts geboten. Gemauerte Wohnhäuser, spießige Vorgärten, Hausfrauen mit Kleinwagen, eine Bäckerei, ein italienisches Restaurant und ein kleiner Supermarkt. Eigentlich ähnelten sich dieser Flecken Erde und ihr Heimatdorf sogar – außer, dass sie die Heide gegen riesige Wälder getauscht hatte.
Sie stand auf und ließ sich durch die Straßen treiben, bis ihr Kaffeeduft in die Nase stieg. Eine heiße Tasse Kaffee wäre genau das Richtige. Sie folgte dem Geruch, der sie bis vor ein Eckcafé lockte.
Das kleine Stehcafé war gut gefüllt. Während sie darauf wartete, an die Reihe zu kommen, beobachtete sie die Menschen um sich. Hier schien jeder jeden zu kennen. Es wurde getratscht und gelacht; nur sie kam sich wie ein Fremdkörper vor. Die Einwohner starrten sie zwar nicht direkt an, trotzdem bemerkte sie, wie sie sie beobachteten. Nachdem sie ihren Kaffeebecher in Händen hielt, wollte sie nur noch verschwinden. Mit einem Ruck drehte sie sich um und knallte mit ihrem Hintermann zusammen. Ein hässlicher Kaffeefleck breitete sich auf dem T-Shirt des jungen Mannes aus, der fluchend an seiner Kleidung zerrte. Naomi blieb sprachlos stehen. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet. Spätestens jetzt musterte sie jeder. Am liebsten wäre sie unter den Dielenbrettern versunken. Hoffentlich würde der Typ jetzt nicht ausrasten. Der Kaffee war brühend heiß. »Sorry. Das, ähm ... es tut mir furchtbar Leid«, stammelte sie.
Der Typ erwachte aus seiner Starre. Er fingerte nach den Servietten, die auf der Theke lagen und wischte ergebnislos an dem Kaffeefleck herum. »Ist wenigstens Milch und Zucker drin? Heiß scheint er ja zu sein.«
Naomi schüttelte verlegen den Kopf. »Schwarz, ohne Zucker. Gibt dafür keine Milchflecken.« Naomi sah, wie sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen. Ein Kerl im Holzfällerhemd prustete lauthals los und gab in übelstem Slang einen Kommentar ab. Sie grinste unsicher. Kein einziges Wort des untersetzten Glatzkopfs hatte sie verstanden. Die umstehenden Gäste grinsten ebenfalls und klopften dem Glatzkopf auf die Schulter. Naomi drehte sich peinlich berührt weg, bestellte einen Kaffee mit Milch und Zucker und hielt dem Fremden den Becher hin. »Friedensangebot. Die Sauerei tut mir echt Leid.«
Der Glatzkopf gluckste immer noch über seinen eigenen Witz, worauf der Typ den Kopf schüttelte. »Lass dich von dem nicht ärgern. Gillbert ist hier unser Möchtegern-Casanova.«
»Was heißt hier Möchtegern? Ruiniere mir nicht meinen guten Ruf! Hättest du dich nicht vorgedrängelt, wäre ich jetzt auf den Kaffee eingeladen.«
»Träum weiter, Gill. Was würde deine Frau davon halten, hä?«
Der Typ entfernte sich vom Tresen. »Bist du neu hier?«
Naomi nickte. »Gestern angekommen.« Sie war erleichtert. Immerhin nahm er ihr das Malheur nicht übel.
»Herzlich Willkommen in der Wildnis. Unser bestes Exemplar hast du eben kennen gelernt. Ich bin übrigens Sammy.« Er streckte ihr seine Hand entgegen.
»Naomi.« Sie gab ihm die ihre. »Und normalerweise bin ich nicht so schusselig.« Sie sah in seine blassblauen Augen, die forschend nach draußen sahen.
»Dort ist noch ein Tisch frei. Hast du Zeit?« Er zeigte zu einem Stehtisch mit zwei Hockern.
Naomi nickte. Sammy ging voraus. Er war einen halben Kopf größer als sie und seine
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