Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
nicht.« Naomis Gesicht war zu einer starren Maske geworden. Sie war beinahe durchsichtig geworden, was die gelben Schatten unter ihren Augen noch betonte. Sie wollte nur noch weg.
Alice beglich die Rechnung. Sie standen auf. Alice ging voran, um Naomi vor Romans zufälligem Blick zu schützen. Naomi konnte nicht anders, als in seine Richtung zu sehen. In diesem Moment sah er auf. Ihre Blicke trafen sich. Romans Blick spiegelte freudige Überraschung wider, Naomis Augen funkelten angriffslustig. Sie hielt den Blick auf ihn gerichtet, bis sie den Ausgang erreichten, erst dann wandte sie sich ab.
»Warum sind wir nicht einfach zum Italiener?«, jaulte Naomi vor dem Lokal. »Dort wäre mir dieser Anblick erspart geblieben. Besser noch, ich wäre einfach im Bett geblieben.«
»Es tut mir so Leid.« Alice nahm Naomi in die Arme. »Komm. Ich fahr dich nach Hause.«
Naomi starrte während der Fahrt auf ihre Fingernägel. Heftige Magenkrämpfe machten ihr zu schaffen. Sie zog die Beine an und wiegte sich auf dem Sitz leicht hin und her. Alice parkte den Wagen vor dem Wohnheim. »Hey, du hast etwas Besseres verdient. Vergiss ihn.«
Naomi biss sich auf die Unterlippe. Wie sollte sie ihn einfach vergessen? Das war unmöglich.
Alice öffnete ihr die Wagentür. »Soll ich noch mitkommen?«
Naomi schüttelte den Kopf, schob sich an Alice vorbei und stapfte davon.
Naomi hörte den Anrufbeantworter ab. Ihre Großmutter hatte angerufen. Wie auch schon die Tage zuvor. Oma musste spüren, dass es ihr nicht gut ging. Sonst würde sie nicht täglich anrufen. Bei jedem Gespräch bemühte sich Naomi um einen fröhlichen Plauderton, erzählte, wie toll die Uni war und von ihren Freunden Alice und Sammy. Roman erwähnte sie nicht. Jetzt wusste sie auch warum. Ihr Unterbewusstsein hatte sie gewarnt, was ihr jetzt erst klar wurde. Er war nicht an ihr interessiert. Naomi zog den Stecker aus der Anschlussdose. Zum Telefonieren fehlte ihr heute die Kraft. Um die Stille zu vertreiben, schaltete sie das Radio ein. Der Sender brachte eine Ballade. Wütend drückte sie den Ausschaltknopf. Ihr MP3-Player steckte in ihrer Sporttasche. Was sie brauchte war Rockmusik; am besten laut. Zwei Minuten später dröhnte aus den Kopfhörern AC/DC. Naomi nickte im harten Rhythmus und lenkte sich ab, indem sie ihr Zimmer aufräumte. Nach einer Stunde fand sie nichts mehr, was noch schmutzig war oder sie nicht zehnfach hin- und hergerückt hatte. Zeit, sich ins Bett zu verkriechen; mit einer Tasse heißer Schokolade und einer Packung Taschentücher. Der Gang zum Kühlschrank war umsonst. Ihr fiel ein, dass Alice die Milch weggeschüttet hatte, weil sie sauer geworden war. Auch sonst fand sich nichts Essbares mehr darin. Eine trostlose Leere starrte ihr entgegen. Naomi schnaubte. Wie passend, dachte sie. Der Kühlschrank ist leer und kalt, genau wie ich.
*
Roman war Naomi nachgelaufen. Doch vor dem Lokal war sie nirgendwo mehr zu sehen gewesen. Danach kehrte er ins Restaurant zurück, um den Abend irgendwie hinter sich zu bringen. Die ganze Woche hatte er mit sich gerungen. Er wollte sie sehen, doch er konnte nicht über seinen Schatten springen. Selbst wenn Naomi sich in ihn verliebte, so wäre es doch nur eine Liebe auf Zeit. Eine Beziehung auf Distanz kam für ihn nicht in Frage. Nicht mehr.
Es hatte ihn wie ein Keulenschlag getroffen, als Naomi an ihm wie an einem Fremden vorbeigegangen war. Erst in diesem Moment war ihm klar geworden, dass es für einen Rückzug längst zu spät war. Nun stand er vor Naomis Wohnheim. Auf sein Klingeln rührte sich niemand, obwohl er Licht in ihrem Zimmer sah. Trotzdem wollte er nicht aufgeben. Noch nicht. Seit dreißig Minuten ging er vor ihrem Fenster auf und ab. Alle zehn Minuten drückte er auf die Klingel, in der Hoffnung, Naomi würde doch noch öffnen. Roman blickte immer wieder nach oben. Als das Licht in ihrem Fenster ausging, fasste er den Entschluss, es noch ein letztes Mal zu versuchen.
*
Naomi rollte sich auf der Matratze eng zusammen. Die Bettdecke zog sie sich mit einem Ruck über den Kopf. Sie wollte nichts mehr sehen oder hören, sich einfach nur verkriechen. Nicht denken; einfach nicht darüber nachdenken und einschlafen, mahnte sie sich, obwohl sie wusste, dass dies ebensowenig gelingen würde, wie mit Schäfchenzählen in einer schlaflosen Nacht.
»Verdammt noch mal«, fluchte sie. Diese verflixte Türglocke würde sie noch eines Tages kaputtschlagen. Jeden Abend klingelte jemand
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