Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
University prangte auf einem Briefkopf. Ihre Traumuniversität. Das Sommersemester verhieße Sonne, Strand und Surfen, was sie für ihr Leben gerne gelernt hätte. Ihre Finger zitterten. Sie setzte sich auf die Eingangstreppe und starrte auf den Brief, auf den sie seit Wochen gewartet hatte. Sie gab sich einen Ruck und schlitzte das Kuvert mit dem Finger auf. Informationsmaterial quoll ihr entgegen, und oben auf lag das persönliche Anschreiben an sie. Sie überflog die ersten Zeilen, bis sie auf den Satz stieß. Leider können wir Ihnen für dieses Semester keinen Platz anbieten, eventuell haben wir zu einem späteren Zeitpunkt einen Studienplatz frei. Mehr vermochte sie nicht zu lesen. Die Tränen ließen die Worte vor ihren Augen verschwimmen. Mehr war jedoch auch nicht notwendig. Es war eine Absage. Sie schluckte die Tränen hinunter; die fünfte Absage in zwei Wochen.
Mit einer trotzigen Handbewegung wischte sie sich die Tränen aus den Augen und griff nach dem Brief der University of Maine. Dort hatte sie sich nur wegen des guten Sportprogramms beworben. Orono lag im Nirgendwo von Neuengland. Nicht unbedingt der Ort, den sie sich ausgesucht hätte; aber besser als die Lüneburger Heide wäre es allemal. Sie riss den Umschlag auf. Bevor sie die Unterlagen herauszog, atmete sie tief durch, um sich für die letzte Absage zu wappnen. Dann würde Oma ihren Willen bekommen. Sie würde ihr Studium in Hamburg beginnen und versuchen, für ihr letztes Semester einen Platz im Ausland zu ergattern.
Schon nach der Anrede musste sie nicht weiterlesen. Sehr geehrte Frau Roberts, wir freuen uns ... Die Zusage traf sie härter, als es eine Absage vermocht hätte. Ihr Magen verkrampfte sich schmerzhaft, bevor sich eine Leichtigkeit ihres Körpers bemächtigte. Sie würde tatsächlich von zu Hause weggehen. Wie in Trance erhob sie sich von der Stufe, klemmte die Post unter den Arm und betrat das Haus.
Naomi hörte, wie jemand in der Küche hantierte, ging hinein und ließ die Briefe auf den Tisch fallen. Ihre Mutter drehte sich von der Spüle zu ihr um. Sie sah sie lange an und trocknete sich umständlich die Hände an ihrer Schürze ab. »Ach Kleines, es tut mir Leid. Wir versuchen es nächstes Jahr noch mal. Dann klappt es bestimmt.«
Ihre Großmutter nahm das oben liegende Schreiben, las es und seufzte. »Die Uni in Neuengland hat zugesagt.«
Naomis Mutter riss die Augen auf. »Warum weinst du dann? Das ist doch kein Grund zum Heulen.«
Naomi hatte gar nicht bemerkt, wie ihr vor Erleichterung Tränen die Wagen hinabliefen. »Ich weiß nicht. Ich kann es noch gar nicht glauben. Hawaii hat wie alle anderen abgesagt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass mich noch eine Uni nimmt.« Sie erwachte aus ihrer Starre. Ein schiefes Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Ich fahre also nach Orono. Surfen kann ich mir allerdings abschminken.«
Leandra räusperte sich. »Wenn du in Hamburg studierst und gute Noten hast, nehmen sie dich in einigen Jahren in Hawaii mit Kusshand.«
»Und wenn nicht, dann habe ich meine jetzige Chance verpasst.« Naomi setzte sich zu ihrer Großmutter. »Och Omi, Omilein, warum kannst du mir nicht einfach viel Spaß wünschen?«
Der bettelnde Ton ihrer Enkelin, gepaart mit dem Omilein, würde nicht helfen, um sie weich zu klopfen. Dieses Mal nicht. Dafür war der Anlass viel zu ernst. Leandra überlegte, wie sie Naomi davon abhalten sollte. Dieses Mal ging es nicht um ein Eis oder neue Turnschuhe.
»Sag schon, was ist so schlimm daran? Ich verstehe dich einfach nicht.« Naomi sah zu ihrer Mutter.
Luna zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich kann es dir auch nicht sagen. Deine Oma hat mich wie ein Schießhund bewacht, bis ich fünfundzwanzig und verheiratet war.« Mit einem Kopfschütteln verließ sie die Küche. »Ich gehe einkaufen. Und, ob es dir gefällt oder nicht«, sie warf Leandra einen trotzigen Blick zu, »die Zusage wird mit einer Flasche Sekt gefeiert!«
Leandras Gedanken rasten. Sie konnte ihre Enkelin nicht ins Unglück rennen lassen. Sie musste mit Naomi reden. Jetzt, solange ihre Tochter aus dem Haus war. Für Leandra war es offensichtlich. Naomi war Rominas Ebenbild. Langes schwarzes Haar, funkelnde grüne Augen, geschmeidiger Gang; alles untrügliche Zeichen. Sie trug es in sich, genau wie ihre Mutter.
»Also gut.« Leandra straffte die Schultern. »Ich schulde dir eine Erklärung.« Ihr Blick ruhte auf Naomi, die nun die Stirn runzelte und eine Augenbraue nach oben
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