Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
schien fast so, als hätte sie mich hypnotisiert. Sie hat mich nur aus diesen stechend gelbgrünen Augen angesehen. Es fühlte sich an, als sähe sie direkt in meine Seele.«
Naomi grinste schräg, während Leandra verlegen weiter den Wachsfleck auf dem Küchentisch bearbeitete.
»Oma, was erzählst du nur für Geschichten«, lachte Naomi.
Leandra ballte die Fäuste. Ihre Finger schmerzten und sie legte die Hände locker übereinander.
Naomi hörte auf zu lachen. »Oma, das meinst du doch nicht ernst?«
Leandra war wütend und enttäuscht zugleich. Sie hatte gewusst, dass es schwer werden würde. Sie selbst hatte es damals kaum glauben können. »Doch. Lass mich weitererzählen. Und zwar, ohne dass du ein Gesicht machst, als sei ich verrückt geworden.«
Naomi schwieg und nickte.
»Als ich am nächsten Morgen aufwachte, dachte ich erst, ich hätte geträumt. Aber meine Füße waren schmutzig vom Waldboden, und ich steckte immer noch in den nassen Schlafanzughosen. Es konnte kein Traum gewesen sein. Ich blieb am Türrahmen stehen und starrte auf meine dreckigen Füße. Ich lauschte auf die Geräusche im Haus, schlich ins Badezimmer, um mich zu waschen. Es war mir peinlich, in meinem Alter in die Hosen gemacht zu haben. Plötzlich stand Ma neben mir. Sie schaute mich einfach nur an und nickte kurz, als sie mich ins Badezimmer schob.«
Leandras Stimme war leiser geworden. Sie versuchte, ihre Gedanken zu sortieren und überlegte, wie sie weitererzählen sollte.
Naomi riss sie aus ihren Grübeleien. »Oma, wie ging es weiter?«
»Meine Ma erzählte mir, sie sei ein Gestaltenwandler. Ein Katzenmensch. Sie erklärte mir, sie verwandele sich bei Vollmond in einen Panther.« Sie schüttelte den Kopf. »Das war alles sehr aufregend. Ich war ja noch ein kleines Mädchen. Für mich war klar, wenn Ma ein Katzenmensch ist, dann auch Papa und ich. Mama verneinte. Sie sagte, Papa sei ein normaler Mensch, bei mir wisse sie es noch nicht.«
»Und, bist du einer?« Naomi lachte und sah amüsiert zu Leandra. Ihre Stimme hatte einen spöttischen Klang. »Grr, miau.« Sie fuhr mit den Fingernägeln über den Holztisch, als sei sie eine Katze.
»Du glaubst mir kein Wort, oder?« Leandra schloss die Augen. »Nein, natürlich nicht. Wie solltest du auch. Und nein, ich bin kein Gestaltenwandler, wenn ich auch jahrelang darauf gewartet habe, mich zu verwandeln.«
Naomi stand auf. »Oma, wie soll ich dir eine solche Geschichte glauben? Werwölfe, Vampire und der ganze Quatsch! Das gibt es nur in Gruselfilmen. Du warst ein kleines Mädchen, deine Fantasie ging mit dir durch, und deine Mutter hat dein Spielchen mitgespielt. Andere Kinder fürchten sich vor Monstern im Schrank.«
»Naomi. Katzenmenschen sind keine Monster, sondern sanfte Wesen, die niemandem ein Leid zufügen. Sie existieren tatsächlich. Nur, weil du keine gesehen hast, gibt es sie trotzdem.«
»Ja, wie Nessi aus Loch Ness!« Naomi ging in der Küche auf und ab.
Leandra spürte Naomis Blick auf sich ruhen. Sie sah ihrer Enkelin fest in die Augen. »Meine Mutter wollte mich schützen. Sie hatte Angst um mich. Und jetzt habe ich Angst um dich.«
Naomi kniete sich vor Leandra hin. »Omi, das musst du nicht. Ich kann wirklich auf mich aufpassen.«
»Du weißt doch gar nicht, was auf dich zukommt, Kind. Meine Mutter wäre bei ihrer ersten Verwandlung beinahe ums Leben gekommen. Sie wollte nicht, dass es mir auch so geht. Deswegen hat sie die Regeln gebrochen und mit mir gesprochen.« Leandra überlegte einen Augenblick, ob sie Naomi von den Unterlagen erzählen sollte. Damit würde sie ein weiteres Versprechen an ihre Mutter brechen. Sie hatte ihrer Mutter versprechen müssen, die Papiere nur zu lesen, wenn sie selbst ein Katzenmensch wäre. Schweren Herzens hatte sie Wort gehalten. Oft war sie versucht gewesen, den versiegelten Umschlag zu öffnen, um mehr über ihre Mutter zu erfahren. Der Umschlag war schon ganz fleckig; zu oft hatte sie ihn in Händen gehalten. Vor allem, nachdem ihre Mutter verschwunden war. Die Versuchung war immer noch groß. Den Umschlag nicht zu öffnen, war Leandras letztes Versprechen an ihre Mutter gewesen. Sie hätte sich wie eine niederträchtige Verräterin gefühlt, wenn sie die Aufzeichnungen gelesen hätte. Was wäre also, wenn sie ihr Versprechen jetzt bräche und Naomi gar kein Katzenmensch wäre? Sie würde ihr letztes Andenken an ihre Mutter beschmutzen. Sie musste Naomi mit anderen Mitteln überzeugen.
Naomi sah sie an. Der
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