Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
Verschwinden ihrer Mutter gesucht. Das Ergebnis war die Verdrängung der Tatsache, dass ihre Mutter sie verlassen hatte oder ihr etwas zugestoßen war. Die Fantasie eines kleinen Mädchens war zu einer Tatsache geworden, die ihm den Verlust der Mutter erleichtert hatte. Verwandlung in einen Panther, mysteriöses Verschwinden, ein Kuss der vergessen ließ. Das war romantisch und einfacher zu ertragen, als die Vorstellung, verlassen worden zu sein. Aber das hatte nichts mit ihr zu tun. Die Geschichte ging ihr trotzdem nahe. Sie war das Ebenbild von Romina. Hatte ihre Augen. Diese Ähnlichkeit musste für ihre Großmutter schmerzhaft sein. Arme Omi.
Naomi sah auf die Uhr. Zeit für das Abendessen. Sie hatte versprochen zu helfen. Ihr Blick fiel auf den Spiegel. Ein verrückter Gedanke trieb sie zum Schminktisch. Aufmerksam forschte sie nach einer Veränderung. Gut, ihre Augenbrauen waren schon wieder eine Spur zu buschig. Sie nahm die Pinzette vom Tischchen und zupfte die Brauen zurecht. Ansonsten, nichts. Ihre Augen funkelten in dunklem Grün, was durch ihre schwarze Mähne noch mehr auffiel. Jedoch wuchsen weder ihre Augenbrauen in der Mitte zusammen, noch hatte sie einen dunklen Flaum auf der Oberlippe. Nichts, was sich nicht mit einer Pinzette in Ordnung bringen ließe. Sie strich sich über die Augenbrauen, die nun wieder einen perfekten Bogen bildeten, schnitt sich selbst eine Fratze und lachte. Was hatte sie denn erwartet? Dass ihr aus dem Spiegel ein Panther entgegenblickte oder vielleicht, dass sie gar kein Spiegelbild hatte? Sie lachte immer noch, als sie zur Tür ging. Wenn mit ihr selbst plötzlich die Fantasie durchging, wie hatte das alles erst auf Oma wirken müssen, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war? Naomi beschloss, sich nicht weiter über ihre Oma lustig zu machen. Sie konnte das Spiel ebensogut auch mitspielen. Das wäre interessant und würde ihre Oma beruhigen.
Naomi polterte die Treppe hinunter. In der Küche traf sie auf ihre Mutter, die gerade die Zutaten für das Abendessen auf die Anrichte legte. Naomi öffnete eine Plastiktüte. »Lachs? Den magst du doch gar nicht!«
»Nein, aber deine Oma. Vielleicht stimmt sie ihr Lieblingsessen wieder etwas versöhnlicher. Sie läuft schon den ganzen Tag mit so einem merkwürdigen Gesichtsausdruck herum.«
Naomi schälte die Kartoffeln und ließ eine nach der anderen in den Topf mit Wasser fallen. Sie rang mit sich. Einerseits durfte sie Oma nicht verraten, andererseits wollte sie die Version ihrer Mutter hören. »Mama ...«, begann sie.
Luna rührte die Fischsoße an und goss sie über den Lachs, der in einer Auflaufform darauf wartete, in den Ofen geschoben zu werden. »Hmm?«
Naomi beobachtete ihre Mutter, wie sie den Fisch in das Rohr schob. »Ach, nichts.«
Luna wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab. »Na, komm schon. Ich sehe dir doch an, dass was nicht stimmt. Machst du dir Sorgen wegen Oma?« Luna ging zur Spüle und begann den Salat zu waschen. »Oma wird sich daran gewöhnen müssen, dass du deine eigenen Wege gehst. Lass dir also deswegen keine grauen Haare wachsen. Ich kümmere mich schon um sie.«
Naomi schob den Topf mit den Kartoffeln auf den Herd. Ihre Mutter hatte Recht. Sie konnte sich nicht wegen eines Märchens von ihren Plänen abhalten lassen. Die Vergangenheit war eben Vergangenheit. Oma musste damit fertig werden. Sie hatte ihr zugehört, und das musste genügen. Sie nahm sich vor, jede Woche anzurufen, das würde ihre Oma mit Sicherheit beruhigen.
»Wann wirst du gehen?«, fragte ihre Mutter.
Naomi schaltete den Herd zurück. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Das Studium geht in acht Wochen los.« Sie ließ sich auf den Küchenstuhl plumpsen. »Vielleicht sollte ich schon vorher rüberfliegen, damit ich mich umsehen kann. Was denkst du?«
»Gute Idee. Weiß Karsten eigentlich schon Bescheid?« Ihre Mutter setzte sich ihr gegenüber.
Karsten. An den hatte sie gar nicht mehr gedacht. Er würde vermutlich ausflippen. Sie hatte ihm nicht gesagt, dass sie sich für ein Auslandssemester beworben hatte. Nun war die Zusage da. Karsten war ihr bester Freund. Doch die letzten Wochen waren nicht mehr so harmonisch verlaufen. Sie sah in ihm einen Freund; Karsten hingegen versprach sich mehr von ihr. Es war ein Fehler gewesen, sich nach einer Verabredung zum Abschied küssen zu lassen. Damit hatte sich ihre Beziehung verändert. Für sie war er der liebe und nette Karsten, mit dem sie Unfug treiben
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