Im Schatten des Pferdemondes
»Und mir damit auch eine Art Verpflichtung auferlegte. Er sagte, es solle mich immer an die Ethik unseres Berufsstandes gemahnen ... ein Arzt hat auch die Pflicht, sich um die Psyche seiner Patienten zu sorgen und Dinge in Gang zu setzen, vor denen sie sich fürchten.« – Unvermittelt wurde sie praktisch: »Huch, der Tee! Da stehe ich hier rum und schwatze, statt Tee zu kochen!«
»Elaine, es muß wirklich nicht ...«, begann er, aber seine Stimme war so leise, daß sie sie nicht hören konnte, oder zumindest nicht hören mußte. »Wenn du dir die Hände waschen willst«, rief sie aus der Küche, »das Badezimmer ist rechts von der Eingangstür.«
Statt dessen kam er ihr in die Küche nach, die Hände in die Hosentaschen geschoben. »Ich könnte den Tisch decken«, schlug er vor.
»Nicht nötig. – Ich habe auch Kakao für Wolf. Schon in Arbeit. Warte mal –«
Sie neigte sich über eine kleine Liste, die auf der Arbeitsplatte neben dem Herd lag, »den Zucker habe ich, eine Messerspitze Zimt ... auch ... – ha! Der Pfeffer! Beinahe hätte ich die Prise weißen Pfeffer vergessen!« Sie lächelte zu Eric hin, der an der Geschirrspülmaschine lehnte und ihr zusah. »Wie du siehst, habe ich gründlich recherchiert. – Warum setzt du dich nicht wenigstens?«
Er nickte und zog sich einen Stuhl heran. Elaines Küche erinnerte ihn an seine eigene. Auch hier gab es weiße Aufbewahrungsmöbel, einen Tisch und Stühle aus Kiefernholz. Es mußte sich hier, vor diesem großen Fenster, das auf einen Park hinaussah, gemütlich sitzen, an einem ruhigen Sonntagmorgen etwa, der ein ausgiebiges Frühstück mit Tee und Orangensaft und Toast und weichgekochten Eiern gestattete. Der Gedanke machte ihn unruhig.
Wolf war bereits durch die ganze Wohnung gestromert, er fühlte, daß er hier willkommen war. Als er das Wort »Kakao« vernahm, schob er seinen Kopf um die Küchentür und streckte sich so weit wie möglich in den Raum. Er schnupperte vernehmlich. Der Rest seines Körpers jedoch blieb hinter der Schwelle.
Elaine bemerkte ihn aus dem Augenwinkel: »Wolf! Lieber, warum kommst du denn nicht herein?« Sie warf Eric einen fragenden Blick zu.
»Er geht nie in eine fremde Küche, bevor es ihm erlaubt wird. Manche Leute mögen das nicht.«
»Hast du ihn dazu erzogen?«
»Das war nicht nötig. Er bleibt immer draußen, bis man ihn auffordert, hereinzukommen.«
»Oh, Wolf!« Elaine hockte sich auf den Boden und streckte ihm die Hand entgegen. »Komm doch her! Weißt du, ich wollte schon immer einen Hund in meiner Küche haben. Ich finde nämlich, in eine anständige Küche gehört ein Hund.« Wolf kam zu ihr, heftig wedelnd.
Erics Blick umfing ihre niedergekauerte Gestalt, die ihm den Rücken zuwandte. Unter der sich weich anschmiegenden Kleidung zeichneten sich die Konturen ihres Körpers beunruhigend deutlich ab. Er hielt es für das Beste, die Augen kurz zu schließen, dann aus dem Fenster zu blicken und schließlich den Herd anzuschauen.
Ein verhängnisvoll klingendes Blubbern von dort ließ ihn aufspringen und riß Elaine aus ihrer Spielerei mit Wolf. Beide griffen nach dem Topf mit dem Blasen werfenden Kakao, und genau in diesem Augenblick fiel es dem Wasserkessel ein zu pfeifen. Geistesgegenwärtig sagte Elaine: »Nimm du den Kessel«. Hastig nahm sie den Topf mit Kakao von der Herdplatte und stellte ihn in die Spüle. Eric goß den Tee auf. Darauf blickten sie einander lächelnd an. »Das war knapp«, sagte er.
»Wir sollten uns die Hände waschen, bevor wir essen.«
»Ja, Frau Doktor.«
Sie gab ihm einen spielerischen Stoß, und einträchtig wuschen sie sich in dem weiträumigen, hellgrau gekachelten Badezimmer die Hände.
»Eine schöne Wohnung ist das.«
»Du hast sie ja kaum gesehen.« Ihre Augen lächelten zu ihm auf. Sie benutzten dasselbe Handtuch, um ihre Hände zu trocknen, und sie beobachtete amüsiert, daß seine Hände versuchten, ihre nicht zu stören.
»Nun«, sagte er verlegen, »der Flur ist schön, und ich mag die Küche. Gemütlich und wohnlich. Und das Bad –«
Sie zupfte an seinem Ärmel. »Aber unseren Tee wollen wir doch lieber im Wohnzimmer nehmen, nicht?«
»Entschuldigung, ich wollte nicht den Ein ...«
Wie verkrampft er war! Sie legte ihre Hand auf seinen bloßen Unterarm – aus reiner Gewohnheit hatte er sich die Ärmel hochgeschoben und nicht nur die Hände gewaschen, sondern auch die Arme bis über den Ellenbogen; typisch für einen Tierarzt. Sie bemerkte ein leises Vibrieren unter ihrer
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