Im Schatten des Pferdemondes
Hüftknochen
anschlug, und murmelte: »Hätte dich auf dem Markt in
Kintyre stehen lassen sollen!«
»Es ist nicht ihre Schuld, Mr. Sims. Sie ist eine gute
Milchkuh. Die Operation wird keine große Sache. Ich muß
einen kleinen Schnitt in den ersten Magen machen, die
Obstruktion entfernen und sie wieder zunähen. Das ist schon
alles. Wird vielleicht eine Stunde dauern, und dann ist sie
wie neu. Das wird Sie nicht mal so viel kosten wie die
Behandlung des Kälbchens. – Hat es seither eigentlich wieder
gehustet?«
»Nay. Da steht es.« Mürrisch nickte Mr. Sims zu dem
kleinen dunklen Tier hin, das einige Boxen weiter stand. »Sieht aus, als könnt er mal ein guter Bulle werden.« Mr. Sims' Gesicht wurde ein wenig heiterer. Ein guter
Bulle bringt einen anständigen Ertrag. Vielleicht sollte er ihn
aber auch für seine eigenen Kühe behalten. Die Decktaxen
waren exorbitant. »Jedenfalls gab es ein großes Geschrei.« Eric blickte ihn verständnislos an.
»Bei der Versammlung.«
»Welcher Versammlung?«
»Der Gemeindeversammlung natürlich, was dachten Sie?« »Es gab eine Versammlung?«
»Sagte ich doch vorhin.«
»Tatsäch ...? Oh. Ja. Ja, natürlich. Und ...?«
»Und? Was soll ich sagen? Guvnor, warum zum Teufel
können Sie nicht einfach bleiben? Sie hätten sehen und hören
sollen, wie alle sich aufregten, weil Sie weg wollen. Alle –
wir alle – wollen, daß Sie bleiben. Wir wollen nicht
irgendeinen ... wir wollen Sie. Warum machen Sie nicht hier
eine Praxis auf? Jeder weiß natürlich, daß Sie viel zu tun
haben mit diesen wilden Pferden, aber wir ... verflucht, wir
brauchen Sie auch. Und sehr dringend. – Timmys Praxis ist
verwaist. Nehmen Sie die doch einfach, und bleiben Sie.
Bleiben Sie bei uns. – Nämlich ... wir brauchen Sie ...« Was undenkbar erschienen war, bekam plötzlich eine
greifbare Gestalt.
Warum nach etwas streben, das mit einem Schlag seine
Wichtigkeit eingebüßt hatte? Wichtiger als das Gestüt waren
Claire und David, und ... Elaine. Er sah sie wieder vor sich:
das zarte Gesicht, die Entschlossenheit in den dunklen
Augen, als sie ihm mitteilte, sie werde eher auf ihr Land als
auf ihn verzichten.
Eric wünschte, sie wäre jetzt hier und könnte seine Worte
hören: »Sie haben Ihren Tierarzt, Mr. Sims. Ich werde
bleiben.«
Da war es heraus. Und er fühlte nicht einmal einen kleinen
Stich.
Der Traum war in ihren Armen gestorben, und er hatte
nichts davon gewußt.
Die blaßblauen Augen des kleinen dicken Mannes starrten,
verblüfft durch dieses unerwartet leichte Nachgeben, über
den Rücken der Kuh in seine. »Guvno ...?«
»Könnte ich frisches heißes Wasser haben, bitte, Seife und
ein Handtuch?«
»Gee! Na klar!« Beinah hüpfend eilte Mr. Sims den
Stallgang hinunter.
23
Solitaire lag flach auf der Seite. Manchmal hob sie den Kopf und roch an ihrem Leib, der sich schon ein wenig wölbte.
Sie sank zurück. Ihr Instinkt war stark genug, um ihr zu diktieren, daß sie sich ruhig verhalten mußte. Doch die Angst war um sie. Angst und Haß. Ihr Gedächtnis wanderte zurück, wieder und wieder. Es war ganz ruhig gewesen seit dem Tag im Meer, außer wenn Edward auftauchte, doch seit dem Augenblick, in dem sie den kalten Regenguß des intuitiv erfaßten Schreckens gefühlt hatte, regte es sich wieder, und sie hatte seither immer wieder böse Stunden, so wie jetzt, die sie nur aufgrund ihrer großen Geduld ruhig ertrug:
Da waren harte Hände und laute Stimmen, der Druck von ungeheuren Gewichten, die sie zerbrechen wollten, und dieses entsetzliche Schreien. Noch in der Erinnerung rebellierten ihre Nerven dagegen. Sie erinnerte sich daran, wie sie gefangen worden war: Ein wenig abseits von der Herde hatte sie gestanden, friedlich grasend, eine Stute unter vielen, sich ihrer Einmaligkeit nicht bewußt. Dann war da ein Stechen in ihrem Hals gewesen – ein aus einem Blasrohr abgeschnellter Pfeil, dessen Spitze mit einem Betäubungsmittel getränkt war. Als der Hengst ihr Niedergehen bemerkt hatte, war er näher gekommen, hatte sie berochen und mit der Nase angestoßen, und sich dann schnaubend abgewandt. Excalibur hatte ihren Tod hingenommen und seine Herde fortgetrieben über die weiten Hügel.
Und sie war in einen dunklen Stall geschleppt worden. Als die Tür sich in derselben Nacht das nächste Mal öffnete, hatte sie in die Schwärze eines Transporters gestarrt. Jemand hatte das Halfter gepackt und daran gezogen, aber sie hatte sich vor seinem Geruch geekelt und die Beine gegen den Boden
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