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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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sich anders, warf den Morgenmantel auf das Bett und zog seine Arbeitskleidung an. Dann schlich er so leise wie möglich die Treppe hinunter.
    Als er auf dem Kopf der Freitreppe stand und zum Stall hinüberblickte, wehte ihm der Wind den Geruch beißend in die Nase: Es war doch keine Einbildung gewesen! Und noch während er sich darüber klar wurde, peitschte ein Schuß durch die Dunkelheit. Er hörte, wie die Kugel gegen die Stallwand prallte, und sah, wie der Anprall Funken daraus schlug. Nur einen halben Herzschlag darauf erwachte etwas auf dem Boden um den Stall herum: ein waberndes blaues Wesen, das leise zischend unzählige Köpfe hob und sich mit atemberaubender Geschwindigkeit vergrößerte, und während es sich vergrößerte, wechselte es die Farbe. Über den noch immer blauen Wurzeln wogten die Flammen wie blutige Fetzen. Innerhalb weniger Sekunden war das ganze Gebäude im Nu von ihnen umschlungen. Was eben noch ein stattlicher Stall gewesen war, erhob sich nun als nahezu konturlose dunkle Masse in einem lodernden Flammenmeer. Edward riß sich aus seiner Erstarrung, als er von oben aus dem Haus einen Schrei hörte. Es war Emily, die schrie. Der Schuß hatte sie aus dem Schlaf gerissen. Nun stand sie am Fenster: »Eric!«
    Blitzartig erinnerte sich Edward: Eric und Elaine waren im Stall, Solitaire und Wolf sowie die Reitstuten und Turners fünf Vollblüter. Er rannte auf den Hof und schwenkte beide Arme: »Holen Sie Hilfe, Mylady, ich kümmere mich um sie!«
    Er sah, daß sie nickte und sich heftig vom Fenster abwandte. Ihr Gesicht war so weiß, daß es in dem unheimlichen Licht des Feuers einen phosphoreszierenden Schein hatte. Edward rannte zur Stalltür und fuhr zurück: Massive Vorhängeschlösser hakten in den eisernen Verstrebungen der beiden Flügeltüren. Um diese Metallbeschläge und mit ihnen die Schlösser zu lösen, hätte es ewig gebraucht. Die soliden Ställe von Sunrise waren vor Generationen gebaut worden für Generationen. Und die Schlösser glichen ihnen. Diese Metalle würden sich erst dem hartnäckigen Nagen des Feuers beugen.
    Und dann würde es für die eingeschlossenen Geschöpfe da drin längst zu spät sein.
Edward taumelte zurück und barg das Gesicht in den Händen. Im Augenblick beherrschte ihn nicht so sehr der Gedanke, wer sich die ungeheuerliche Tat ersonnen haben mochte, sondern wie Menschen imstande sein konnten, so etwas zu tun.
»Mord«, stammelte er, ohne es zu wissen. Tränen liefen über seine Wangen, und auch davon wußte er nichts. Auf einmal war die Wut da. Er drehte sich zum Stall und starrte in die Flammen. »Ich habe keine Angst vor euch«, stieß er rauh zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Jetzt nicht mehr!« Er fühlte eine Hitze in seiner Brust, die der vor ihm glich.
Die Axt! Die Axt, mit der er Holzscheite für den Kamin spaltete.
    Die Körper der Eingeschlossenen dampften in der schier unerträglichen Hitze: Eric hatte den Schlauch, der zum Abspritzen der Pferde diente, durch mehrere andere Schläuche verlängert und ließ unentwegt Wasser gegen die glühenden Wände prasseln, und auch über Elaine, Wolf und die verstörten Pferde und sich selbst.
    Er war beim trockenen Knall des Schusses aufgefahren und hatte die vibrierende Unruhe der Tiere gespürt. Dann hatte es so etwas wie einen Donnerhall da draußen gegeben, als das Feuer aufsprang und seine Krallen in die Mauern zu senken begann. Durch die Fenster sah er die Flammen, und zum ersten Mal bemerkte er, daß diese Fenster vergittert waren.
    Aufspringen und zur Tür stürzen, den schweren Holzriegel zurückschieben, waren eins gewesen. Doch die Tür hätte eine Mauer sein können. Und genauso war es mit der Hintertür. Ohne lange zu überlegen, hatte er dann die Pferde aus ihren Boxen auf den anderen Stallgang getrieben.
    »Eric, hör doch!« Elaine berührte seine Hand, und er drehte die Wasserzufuhr für einen Augenblick ab. Ihre Blicke tauchten ineinander: Nie hatte er sie mehr geliebt, nie mehr bewundert als in diesen Minuten, die der Erkenntnis folgten, daß sie im Feuer eingeschlossen waren. Sie war ganz ruhig. Sie tat, worum er sie bat, und sie tat es bedacht und geschickt. Ihre Hand auf seiner zitterte nicht.
    »Hörst du das auch?«
    Er lauschte über das Prasseln der Flammen zur Tür hin. »Axtschläge«, sagte er, und seine trockene Kehle knirschte. »Sie versuchen, die Tür mit einer Axt aufzuschlagen.«
    Für eine Sekunde schloß sie die Augen, lehnte ihren Rücken an seine Brust und

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