Im Schatten des Pferdemondes
nachts zu einem Murmeln sank. In einer dieser Nächte stand Solitaire still in ihrer Box und blickte durch das hochgelegene vergitterte Fenster auf den Himmel. Eine seltsame Intensität hielt sie wach: Das Leben in ihr rührte sich. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie es an ihrer Seite fühlen konnte.
Sie hörte das Atmen aus der Box nebenan. Selbst seine ruhigen Atemzüge gaben ihr das Gefühl, beschützt zu sein. Und ein anderer Atem war bei ihm, der sich im gleichen Rhythmus wie seiner hob und senkte. Sie hörte Harmonie in diesem gemeinsamen Atmen. Und doch spürte Solitaire eine Unruhe, eine Bedrohung, die von irgendwo dort draußen kam. Sie hielt den Kopf hoch. Der Mond schien in ihre Augen.
An diesem Abend herrschte ein ungewöhnliches Treiben im Hause Cochan. Die Männer saßen nicht wie sonst über ihren Karten, sondern machten sich draußen auf dem Hof an dem kleinen Transporter zu schaffen. Das Öl wurde gewechselt, die Reifen wurden aufgepumpt, Benzin und Kühlwasser nachgefüllt. Juanita beobachtete sie durch die fadenscheinigen Gardinen, wobei sie sich gegen die Wand preßte, um nicht von ihnen gesehen zu werden. Sie sah, wie sie die Behälter auf die Ladefläche wuchteten. Große Behälter, die seit einiger Zeit schon in dem Schuppen mit dem Whiskykrug aufbewahrt worden waren. Sie hörte, wie ihr ältester Bruder den Jüngsten anschnauzte und sah, daß er ihm die Zigarette aus der Hand schlug.
»Macht, macht schon!« drängte ihr Vater, »wir haben schließlich nicht die ganze Nacht Zeit, der Weg ist weit.« Er bedachte die Behälter mit einem liebevollen Blick und rieb sich kichernd die Hände.
»Diese Hände waren einmal zärtlich zu mir«, hatte ihre Mutter ihr erzählt, als sie vor ihr gekniet und ihr die blauen Flecken gekühlt hatte, die von ihres Vaters Fäusten stammten. »Heute rühren sie mich nur noch an, um mir weh zu tun.« Juanita preßte den Hinterkopf gegen die Wand und erschauerte in der Erinnerung: »Madrecita.«
Die Männer da draußen brachen auf mit viel Türengeknall und lautem Gelächter, als Onkel Pedro eine unflätige Bemerkung machte. Seine Worte waren der Schlüssel! Auf einmal mußte Juanita sich nicht mehr fragen, welches Ziel sie hatten und was sie mit den Behältern planten. Die Mosaiksteine ergaben schlagartig ein Bild. Alles, was sie in den letzten Tagen gehört und kaum verstanden hatte, schoß auf einmal zusammen zu einer furchtbaren Vision. Sie stürzte in die Küche und riß die Schublade auf, in die ihr Vater das Paar dicker Stahlschlösser geworfen hatte: Sie war leer.
Für Sekunden ergriff sie ein Schwindel, der die Welt in Dunkel tauchte.
Sie durfte jetzt nicht ohnmächtig werden! Ihre Hände klammerten sich haltsuchend an den Schrank, und mit verzweifelter Willenskraft rief sie sich ein Bild ins Gedächtnis, das Bild eines Gesichtes. Ein anderes, schemenhafteres Gesicht schob sich hinter die klar gezeichneten Männerzüge mit den verhexenden grauen Augen. »Madrecita«, wimmerte sie, »was soll ich tun?«
Plötzlich dann war sie von Kraft und Entschlossenheit erfüllt. Die Panik gab kühler Überlegung Raum. Wieder riß sie die Schublade auf, und ein triumphierendes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie schnell nach etwas griff und es sorgsam in ihrer Bluse barg. Das Metall drückte gegen die zarte Haut ihrer Brüste.
Leichtfüßig lief sie über den Hof und in den mageren Wald hinein.
Sie würde die Abkürzung über das weitläufige Gelände nehmen. Es war ein halsbrecherischer Weg, aber sie hatte keine andere Wahl. Die knorrigen Äste zupften an ihrem sich weit bauschenden Rock, als wollten sie versuchen, sie aufzuhalten. Sie hörte, wie der Stoff riß. Ungeduldig wischte sie sich das lange Haar aus den Augen und eilte weiter.
Edward war der erste, der den gestörten Frieden der Nacht bemerkte. Er hatte sich in seinem Bett aufgesetzt, um ein Glas Wasser zu trinken und eine der kleinen Pillen zu nehmen, die ihm der Arzt kürzlich gegen seine Schlaflosigkeit verschrieben hatte. Durch das in der lauen Nacht weit geöffnete Fenster wehte eine weiche Brise mit dem vertrauten, geliebten Salzhauch – doch da war noch etwas anderes. Er schnupperte und tappte auf bloßen Füßen zum Fenster. Der Geruch wurde stärker, und er gehörte keinesfalls auf ein Gestüt. Edward schlüpfte in seine Pantoffeln und hängte sich den Morgenmantel um. Es war besser nachzusehen. Sicher spielte ihm seine übernächtigte Phantasie einen Streich. Er überlegte es
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