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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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wurde dabei mehrfach gegen die Wände geworfen, und es blieb nicht aus, daß das wildgewordene Pferd ihn zu Boden trat. Eric fühlte die Huftritte irgendwann nicht mehr. Sein einziges Ziel war, Lances Maul zu greifen; und schließlich gelang es ihm. Eine Hand so tief im hinteren, zahnlosen Teil des Pferdemauls, daß sie ein keuchendes Würgen provozierte, faßte er mit der anderen die Trense mit aller ihm noch verbliebenen Kraft und stieß und drängte mit gezielten Fußtritten den schnaubenden, stampfenden, immer wieder aufbegehrenden Hengst in seine Box. Schweißgebadet warf er die Tür zu. Er haßte sich. Er wußte, der Hengst hätte auf nichts anderes reagiert, aber er haßte es, gegen Lance auf diese Weise vorzugehen. Und Lance ging hoch und schlug mit den Vorderhufen, er drehte sich um und attackierte die Tür mit Schlägen seiner Hinterhand, die den ganzen Stall erschütterten.
Eric hörte Rufe und Poltern von draußen; der Lärm hatte das ganze Haus auf die Beine gebracht. Ohne darauf zu achten, rannte er zur Sattelkammer und begann fieberhaft in seinen Taschen zu wühlen, bis seine zitternden Finger das Fläschchen umschlossen, das er suchte. Er hatte das Betäubungsmittel noch niemals anwenden müssen, weder bei Lance noch bei einem anderen Pferd; aber jetzt blieb ihm keine Wahl. Das eingeschlossene Pferd würde sich umbringen, wenn er es nicht unter Kontrolle brachte. Er konnte nicht riskieren, die Boxentür zu öffnen. Er kletterte über die Futtermulde auf die Mauer und ließ sich mit einem Satz in eine möglichst weit von Lance entfernte Ecke fallen. Lance beachtete ihn überhaupt nicht. Sein ganzes Trachten war darauf gerichtet, freizukommen. Eric sah, daß die Tür unter dem Ansturm in den Angeln nachgab. Eilig zog er eine ihm ausreichend scheinende Dosis des Ketamins in die Spritze, drängte sich an Lance und injizierte die Flüssigkeit in die Kruppe.
Der mächtige Tritt verfehlte ihn nur um Haaresbreite, aber noch während er schmutz- und schweißbedeckt gegen die Boxenwand taumelte und seinen Kopf mit beiden Armen schützte, hatte der Hengst den kleinen Stich schon vergessen und attackierte erneut die Tür. Eric drückte sich gegen die Mauer und wartete ab. Der Schweiß lief ihm in die Augen. Stunden schienen zu vergehen. Die Türangeln lockerten sich immer mehr, von draußen klangen aufgeregte Stimmen und das Trommeln von Fäusten gegen die verriegelte Stalltür. Eric verkrampfte sich, als die Spritze keine Wirkung zeigte. Nur noch wenige Tritte und Lance würde frei sein. Nicht auszudenken, welche Verletzungen er sich zuziehen könnte, wenn er in die Stallgasse rannte, um einen Weg nach draußen zu finden. Eric suchte fieberhaft nach einer anderen Lösung. Vielleicht gab es einen Weg, das zügellos gewordene Pferd zu fesseln? Konnte er es durch einen gezielten Schlag bewußtlos machen? Er beobachtete mit wachsender Verzweiflung den wie irren Hengst und sprang von einer Ecke der Box in die andere, um nicht getroffen zu werden.
Doch auf einmal blieb der Hengst mit einem schwachen Wiehern stehen, als habe ihn ein Stein am Schädel getroffen, sein Kopf fiel herunter, die Beine gaben langsam unter ihm nach, und er rollte auf die Seite. Seine Beine zuckten noch ein wenig, und er versuchte, den Kopf zu heben. Eric kniete neben ihm. »Tut mir leid, mein Junge.« Er streichelte die feinen Ohren und ließ seine Hand über den Hals gleiten. Der blanke Schweiß lief ihm über die Hand; Lance war so naß, als sei er gerade aus dem Wasser gekommen. Sein Kopf fiel ins Stroh, seine Augen verdrehten sich: die Erschöpfung und das Ketamin hatten endgültig ihre Wirkung getan.
Zitternd schleppte sich Eric zur Stalltür und zog den schweren Holzbalken zurück, der sie von innen verriegelt hatte. Sofort war er eingekreist von allen Mitgliedern des Haushalts. Eine Flut von Fragen prasselte auf ihn ein, und er schüttelte benommen den Kopf und hielt sich die Ohren zu: »Lieber Himmel, bitte, bitte nicht alle auf einmal!«
»Er hat recht«, Emily Fargus verschaffte sich Gehör. »Er ist in einem furchtbaren Zustand. Milly, geh ins Haus und setze Wasser auf.«
»Ja, Ma'm.«
Eric lehnte sich gegen die Wand. »Gute Idee, heißes Wasser«, flüsterte er. Seine Stimme wollte ihm auf einmal nicht mehr gehorchen. »Ich brauche welches für Lance.«
»Eric! Kommen Sie ins Haus! Ich werde Sie verarzten! Sie sind ja völlig erledigt.«
Turner hatte sich aus der Traube von Menschen herausgeschält und war zu Lances Box gegangen.

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