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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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als ihre Nachbarn, dicht am Zaun auf dem Land der Cochans stand: Oben auf dem Baum lag, geschmeidig auf einem der Äste, eine Gestalt. Ein Tier, eine Raubkatze? Nein, das konnte nicht sein. Doch Eric konnte sich den Anblick des hingekauerten Wesens dort im Schatten zunächst nicht anders erklären. Auf einmal aber bewegte sich die rätselhafte Gestalt, und da sah er die lange schwarze Mähne, das schmale Oval eines dunklen Gesichts, darin seltsam intensive, dunkle Augen, die aufzuglühen schienen, als ihr Blick seinen traf – vorüber war all dies in der Sekunde, die der Wagen brauchte, um den Baum hinter sich zu lassen. Eric riß den Kopf herum und starrte zurück. Eine junge Frau, ein Mädchen, lag da auf dem raunen Ast der Kiefer, graziös und schön. Eine junge Frau mit langen tiefdunklen Haaren – wie sie ihn angesehen hatte, als der Wagen unter ihrem Ausguck entlanggerumpelt war!
»Haben Sie das gesehen?«
»Was denn?« fragte Emily.
»Da lag jemand auf einer der Kiefern!«
»Nein, ich habe nichts gesehen. Dieser Weg ist auch nicht gerade leicht zu fahren.« Emily klang geistesabwesend, eine tiefe Konzentrationsfalte war zwischen ihre feinen Brauen gegraben. »Da war jemand auf einem Baum, sagen Sie?«
»Ja, drüben auf dem Cochan-Land, aber ganz dicht beim Zaun. Sie lag da und sah zu uns herunter. Es wundert mich, daß Sie's nicht bemerkt haben.«
Emily ging darauf nicht ein. »Sie?«
»Ja, es war eine junge Frau. Ein klein wenig älter als Louise vielleicht.«
»Ich wußte nicht, daß die Cochans auch ein Mädchen haben. Ich habe bei meinem einzigen Besuch dort nur«, sie schwieg kurz – und er spürte, wie sehr sie die Erinnerung anwiderte – und fuhr dann ruhig fort, »sogenannte – männliche – Familienangehörige gesehen. Ist ja auch egal.« Ihre Stimme verhärtete sich. »Solange sie auf ihrem Land bleibt, kann sie soviel auf Bäumen herumliegen, wie sie will.« Sie schüttelte den Kopf. »Seien Sie freundlich, Eric, lassen Sie uns das Thema wechseln.«

9

    Noch bevor sie in Sichtweite der Stallungen gelangt waren, hörten sie die Schreie. Emily gab Gas und zwang den Wagen rücksichtslos über den schwierigen Boden. Eric kannte diesen
    besonderen Ton der Schreie, die da aus dem Stall kamen, gellend über seinen Ohren zusammenschlugen und seine Nerven schier in Fetzen rissen.
Der Wagen schoß über das glatte Kopfsteinpflaster des Hofes und schleuderte wie ein Kreisel, bevor er ruckend zum Stillstand kam, nur Zentimeter von Grandpa entfernt, der mit aschfahlem Gesicht auf seinen Knüttelstock gestützt mitten auf dem Platz stand und ihr Heranbrausen nicht einmal zu bemerken schien. Erst als Eric zu ihm rannte und ihn leicht schüttelte, schien die seltsame Starre von ihm abzufallen. »Es ist zwecklos«, sein Blick schien durch Eric hindurchzugehen, »zwecklos. Ich werde ein Gewehr holen.« Er drehte sich um und wollte ins Haus gehen. »Zwecklos«, wiederholte er.
    »Sir!« Eric war neben ihm, zupfte ihn am Ärmel, und schließlich riß er daran, um den alten Mann aufzuhalten. »Sir!«
    Grandpa drehte sich zu ihm, aber nur halb, und sein Blick war weiterhin blitzend vor Entschlossenheit auf das Haus gerichtet.
    »Sehen Sie mich an, Sir, bitte!«
»Sie wollen, daß ich Sie ansehe, Junge?! Ich sehe Sie an. Und sehen Sie sich an, was sie getan hat. Edward – sie hat ihn getötet!«
»Edward ge – Was in Gottes Namen ist hier passiert?«
»Da!« Der zitternde Knüttelstock wies auf ein Bündel nahe der Stallwand. »Da liegt er! Er war ein so feiner Kerl, unser Edward – fing schon als Junge bei uns an und hat unserer Familie und unseren Pferden immer die Treue gehalten; und jetzt hat eines unserer Pferde – jetzt hat ihn dieses Monstrum getötet!« Unvermittelt strömten Tränen über Grandpas Wangen. Emily war plötzlich da. »Er muß sich setzen«, sagte sie. »Vater«, setzte sie fürsorglich hinzu, »wirst du es bis zur Treppe schaffen, ja, denkst du?«
»Edward!« schluchzte der alte Mann. »Oh, Edward, guter Junge, guter Junge! Du warst der letzte, den ich einstellte –« Willenlos ließ er sich zur Freitreppe führen und sank nieder. Sein Stock war ihm hinderlich dabei, und er schleuderte ihn mit einer wilden Bewegung gegen den Stall: »Verfluchte Bestie! Ich wünschte, ich hätte dich nie zu Gesicht gekriegt!«
»Ich muß nach Edward sehen«, sagte Eric über Grandpas Kopf hinweg. »Bleiben Sie bei ihm. Rufen Sie Louise oder eines der Mädchen. Wir brauchen einen Krankenwagen.«
Eric

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