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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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verstehen, denn sie waren leise genug gesprochen, um sein überempfindliches Gehör nicht zu betäuben. »Sie müssen sich ruhig verhalten, Eric«, sagte die Stimme. »Sie dürfen sich nicht anstrengen.« Er blinzelte und fixierte mit einiger Mühe die Gestalt einer Frau mit einem dunklen Gesicht und ergrauenden Haaren unter ihrer weißen Schwesternhaube. »Sie ... sind piktischen Ursprungs, nicht, Madam?«
    Sie sah auf ihn nieder. »Ich werde Dr. Mercury holen.« Sie wollte sich abwenden, aber dann kam sie wieder zu seinem Bett zurück. »Pikten? Was meinen Sie?«
    »Pikten und Kelten – die Völker, die die Urahnen des schottischen Volkes sind. Die Pikten waren dunkel, und die Kelten hellhäutig und hellhaarig.« »Ich hole Dr. Mercury.«
    Wieder sank er in ein Meer von Dunkelheit, doch nicht so tief wie zuvor. Die leichte Berührung einer Hand auf seinem Arm holte ihn an die Oberfläche. Er hob langsam die Lider, aber er sah nicht mehr als einen weißen Kittel. »Machen Sie das weg, Doktor. Sie müssen mich nicht fesseln. Nehmen Sie es weg, oder ich werde dieses Bett umwerfen und Ihnen eine Menge Ärger machen.«
    Geschickte Hände lösten die demütigenden Gurte. »Wollen Sie sich selbst verletzen?«
»Hugh?«
»Ja, ich bin's, Hugh. Dr. Mercury hat Sie gründlich untersucht. Wollte unbedingt hier sein, wenn Sie aus der Narkose erwachen, aber es gibt 'ne akute Appendizitis auf Station II. – Ich mußte Sie lahmlegen, Eric, ich konnte nichts riskieren. Sie hätten eine Schädelfraktur haben können. Es tut mir leid.«
»Es tut mir leid.« Etwas Ähnliches hatte er zu Lance gesagt, als er ihm die Betäubungsspritze hatte geben müssen. Er versank erneut in Dunkelheit.
    »Wie geht es ihm? Wird er wieder gesund? Ganz gesund?« Claire Hickman schoß auf Dr. Mercury zu, sobald sie den
Raum verlassen hatte. Die anderen umstanden sie gleich
darauf, schweigend, aber ebenso begierig auf ihre Antwort
wartend.
Dr. Mercury blieb stehen. Sie war an Aufregung gewöhnt.
»Wir haben ihn gründlich untersucht. Er hat eine schwere
Gehirnerschütterung und viele Quetschungen, und eine
Lähmung in seinem rechten Arm. Aber wenn er sich ruhig
verhält, wird er bald wieder ganz der alte sein.«
»Können wir zu ihm?« fragte Claire. Sie setzte sich
drängend über die Distanz hinweg, die die ruhige Stimme und
die unnahbar scheinende äußerliche Erscheinung von sterilem
Weiß und Stethoskop schaffen sollten. Die junge Ärztin
blickte sich unter ihnen um. »Keinesfalls alle«, entschied sie.
»Er schläft jetzt, und er muß Ruhe haben, mehr als alles
andere. Mehr auch als Medikamente.«
Dr. Mercury war in der kleinen Klinik in dem kleinen schottischen Ort Kirkrose bekannt für ihre unorthodoxen Entscheidungen: »Eine Nähe kann ich schon verantworten.« Ihr Blick schweifte noch einmal kurz und blieb an Claire hängen. Zwischen der kleinen Frau und dem jungen Mann in seinem Krankenbett schienen ihr unsichtbare Bande zu bestehen. »Sie sind nicht seine Mutter, nicht? Ihr Name ist
Hickman, und seiner Gustavson.«
»Er wohnt bei uns. Und – und wir haben ihn ins Herz
geschlossen wie einen Sohn. Er ist viel mehr als ein
Logiergast. Nicht, David?«
»Aye, Frau Doktor, das stimmt. Er ist ein feiner Junge, und
viel mehr als ein Gast für uns.« David Hickman richtete sich
hinter der kleinen Gestalt seiner Frau auf. »Er hat niemanden,
es gibt keine Familie.«
»Außer Ihnen beiden, will mir scheinen.«
In diesem Moment wandte sich Emily um und fand sehr
aufrecht gehend den Ausgang. Sie hatte kein Recht, hier zu
sein. Sie konnte ihm nicht geben, was diese beiden ihm
gaben. Sie verlangte zu viel. Und sie verlangte etwas, das
seine Anständigkeit nicht geben wollte. Sie hatte ihn
getäuscht. Nie wieder würde sie seinen innersten Kern
erreichen können, wie es ihr zum Beginn ihrer Begegnung
fast gelungen war. Ein guter Anfang war es gewesen. Sie
allein hatte ihn durch die Täuschung verdorben.
    Sein scheues Lächeln leuchtete auf. »Claire.«
»Schschsch.« Sie kam leise zu seinem Bett und legte ihre
kleine harte Arbeitshand auf das weiße Laken – suchte seine
Nähe und wagte nicht, ihn anzurühren. »Nicht sprechen«,
hauchte sie. »Ich werd auch ganz leise sein. Dr. Mercury
sagt, ich darf Sie kurz sehen, aber Sie sollen sich nicht
anstrengen. Sagen Sie also lieber nichts. Wir müssen Ihren
Kopf schonen. Sie können ja mit den Augen sprechen, ja?« Eric zwinkerte seine Zustimmung. Dann ruhte sein Blick
auf der kleinen dunklen Hand, und seine

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