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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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hätte eigentlich in dieser sich hoch wölbenden und weitläufigen Umgebung noch zierlicher wirken sollen, doch in dem durch die hohen Fenster einsickernden, dunstigen Licht war es, als sei sie von einer sie gewaltig erscheinen lassenden Aura umgeben – als sei die Wolke aus Wut und Angst aus ihrem Inneren getreten und umhülle sie nun drohend und furchteinflößend.
Die Erfassung dieses eigentümlichen Phänomens kostete Eric mehrere Sekunden, in denen er hätte versuchen können, eine der Boxentüren zu entriegeln und sich in Sicherheit zu bringen. Er wollte schließlich über die Mauer einer Box, irgendeiner Box, springen, wie an jenem Morgen, als Lance verrückt gewesen war, aber sein steifer, wunder Körper bewegte sich nicht schnell genug. Er blieb darum stehen und breitete die Arme nach beiden Seiten aus, sie heftig schwenkend, aber wohlweislich ohne einen Laut von sich zu geben. Wenn er sie nicht mit dem Klang seiner Stimme provozierte, würde sie ebenso anhalten, wie Lance auf dem Klippenpfad angehalten hatte.
Im unvermindert rasenden Näherkommen fing er den Blick ihrer dunkelgoldenen Augen auf; sie wußte, daß er da war, auch wenn sie ihn aus der Nähe nur noch undeutlich sehen konnte, aber sie wurde nicht langsamer. Seine Arme kreisten jetzt; sie hatte nur noch zwei Galoppsprünge bis zu ihm – würde sie vor ihm steilen, wie Excalibur es getan hatte, und sich womöglich überschlagen? – Ein Pferd rennt ein lebendiges Hindernis nicht um. – Sie war heran; aus ihrem letzten Galoppsprung schnellte sie sich mit aller Kraft vor und schlug gezielt mit beiden Vorderhufen nach ihm, er wich zurück, aber wieder war er nicht schnell genug, und der linke Huf erwischte seine rechte Schulter scharf wie ein Messer. Sein noch immer erhobener Arm fiel herab, plötzlich gelähmt. Im Niederkommen schwang ihr Schädel bösartig und traf ihn wuchtig seitlich am Kopf, die gebleckten großen Zähne packten den anderen Arm und ließen erst los, als er fiel, teils, weil ihm fast das Bewußtsein schwand durch den Hieb gegen seinen Kopf, aber auch – und es erstaunte ihn, daß er dazu noch in der Lage war – aus Berechnung. Sie konnte sein niedergehendes Gewicht nicht halten, und als er den linken Arm mit aller Kraft an sich riß, mußte sie ihn loslassen.
Ungeschützt, halb betäubt, lag er jetzt vor ihr auf der Stallgasse und versuchte unbeholfen sich wegzurollen, aber ihr Kopf schlug weiter nach ihm, und ihre Hufe stampften klirrend auf dem harten Grund, so daß er dessen Zittern bis in die feinste Nervenenden fühlen konnte. Sie hatte ihn endlich genau unter sich, zwischen ihren Hufen. Der anthrazitfarbene Leib spannte sich haßgeladen über ihm, sie stieg hoch und stieß dabei ein würgendes Kreischen aus. – Kein Pferd tritt jemals auf etwas Lebendiges, das vor ihm auf dem Boden liegt, und sei es noch so aufgeregt – doch sie holte Schwung, um ihn zu vernichten. Er schnellte zur Wand, kam auf die Füße, packte die Boxentür, um Halt zu haben, und warf sich gegen Solitaire, gerade als ihre Hufe auf die Stelle der Stallgasse krachten, wo er eben noch gelegen hatte. Seine Stiefel trafen sie mit der ganzen Wucht seines Sprunges an Hals und Widerrist, aber dann wurde es schwarz um ihn. Er merkte nicht einmal mehr, daß er zu Boden sank. Für den Bruchteil eines Atemzugs war die Stute betäubt; dann schüttelte sie sich und wandte sich ihrem hilflosen Opfer zu. Dieser gehörte zu ihnen – ihren Peinigern. Niemals würde sie zulassen, daß einer von ihnen ihr je wieder nahe kam. Ein Zweibeiner und ein quälender Feind waren dasselbe. Sie mußte sich wehren. Sie mußte sie vernichten, bevor sie sie vernichteten. Damit gehorchte sie dem obersten Gesetz des Lebens.
Ihre Augen glühten. Mit einer graziösen Bewegung hob sie den rechten Vorderhuf und richtete ihn gegen Eric, um ihm den Schädel zu spalten.
    Ein Kratzen, Quietschen und Scharren von draußen lenkte sie kurz ab. Sie bleckte die Zähne, weil sie die verhaßte Fremdheit da draußen spürte, die kam, um sie erneut zu quälen. Sie riß den Vorderlauf hoch für den tödlichen Schlag, da drang Licht in ihr Gefängnis, als die Tür einen Spaltbreit geöffnet wurde. »Eric?«
    Solitaire wirbelte herum, sprang gegen das Licht. Die Tür wurde Emily aus der Hand gerissen, sie selbst zu Boden geworfen, als die Stute hinausraste, über den Hof und die weite Grünfläche jagte und in Sekundenschnelle hinter dem Hügelkamm verschwand.
    »Eric!« Angstvoll und benommen

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