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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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Sie jetzt nicht bitten, sich vorzustellen, wie Sie
sich fühlen würden, wenn Sie herumliefen und versuchten,
alles selber zu tun.« Hugh erwartete keine Antwort. Er griff
zum Fön und ließ den warmen Luftstrahl gegen das kurze
Haar des Patienten wehen.
»Wann lassen Sie mich aufstehen, Dr. Mercury?« verlangte
Eric bei der Visite.
»Wenn ich es verantworten kann.«
»Aber ich bin in Ordnung! Was macht schon ein bißchen
Schädelbrummen!«
»Wie viele Finger sehen Sie?«
»Vier ... nein, warten Sie, drei. Drei Finger. Ich sehe drei
Finger.«
Dr. Mercury klappte Zeige- und Mittelfinger zur Faust
zurück: »Ich erlaube Ihnen aufzustehen, wenn ich es
verantworten kann.«
Ein Ausdruck von Hetze und tiefer Unruhe glitt über sein
Gesicht.
»Eric! Haben Sie Geduld mit sich! Was Ihnen passierte, ist
keine Kleinigkeit, Sie brauchen Zeit, um sich zu erholen. Sie
können Ihre Besserung nicht erzwingen. Sie sind Tierarzt;
Ihnen muß ich nicht erklären, was geschieht, wenn ein
Schädel derart traktiert wird wie Ihrer. Dieses Pferd hätte Sie
umbringen können. Also verhalten Sie sich ruhig und folgen
Sie den Anweisungen.«
    Er folgte den Anweisungen. Er unterdrückte die heftigen Anflüge von Rebellion. Sein wunder Körper, nun da ihn der rastlose Geist nicht mehr trieb, verlangte nach Ruhe: er schlief lange erholsame Stunden während des Tages, und sobald das Licht sank, war er für die Welt nicht mehr zu haben. Es schien, als habe sich über die Jahre seines anstrengenden Lebens eine Müdigkeit angesammelt, die er jetzt wegschlief. Wenn er wach war, wollte er gern lesen, aber die kleinen Buchstaben verschwammen ihm immer wieder vor den Augen. Selbst das Radio konnte er nicht ertragen: Claire hatte ein kleines Gerät gebracht, aber auch die niedrigste Einstellung verursachte Schmerzen in seinem Kopf. Er war noch immer überempfindlich, aber unleugbar auf dem Weg der Besserung.
    Nach zwei Wochen erhielt Emily Fargus die Erlaubnis, ihn zu besuchen. Sie kam auf ihn zu, zierlich und schön, gefolgt von Dr. Mercury.
    »Eric, es tut mir sehr leid.« Emily wirkte völlig deplaziert auf dem kleinen Schemel, den sie sich an sein Bett gezogen hatte, in ihrem dunkelgrauen Kostüm und den seidig schimmernden Strümpfen und den Schuhen mit den hohen Absätzen. Er hoffte, sie werde nicht noch näher herankommen, denn er war davon überzeugt, ganz schrecklich zu riechen. »Es tut mir sehr leid, und ich hoffe, daß Sie Solitaire nicht in Bausch und Bogen verurteilen.«
    »Es gilt immer noch, was ich zu Mr.Fargus sagte – es war meine Entscheidung. Niemand hat mich gezwungen, es mit ihr zu versuchen.«
    »Sie müssen sich jetzt ausruhen. Dr. Mercury hier sagte mir, daß Sie sehr gut mitarbeiten, und daß Sie vielleicht bald mit der Physiotherapie anfangen können. Und dann – vielleicht –« Sie schwieg, als ihr Blick seinen fand.
    Dieses Pferd ist wahnsinnig, ihm ist nicht zu helfen. Ich kann es nicht erreichen, weil es wirklich wahnsinnig ist. Wahnsinnig, verstehen Sie? Wahnsinnig! Sein Geist ist verschoben. Und der Versuch, ihn geradezu biegen, könnte mich das Leben kosten. Ich habe Pläne, die ich verwirklichen will. Und mich um ein irrsinniges Pferd, das Menschen angreift, um sie zu töten, zu kümmern und am Ende erneut zu verlieren, gehört nicht dazu.
    Emily erblaßte und fingerte nervös an ihrem Handtäschchen. Sie hatte seine stumme Botschaft sehr wohl begriffen. »Sie ist jetzt wieder bei den anderen. Nur deswegen ist sie noch am Leben. Wäre sie nicht geflohen, hätte Vater sie erschossen. Er bringt nicht die Kraft auf, die Herde zu suchen, und ich habe mich geweigert, sie mit dem Wagen aufzuspüren.«
    Beim beherrschten Klang ihrer Stimme zog sich etwas schmerzhaft in ihm zusammen bei der Vorstellung von Grandpa Fargus, der wie ein weißmähniger Recke auf einem der Hügel mit angelegtem Gewehr stand und geduldig wartete, bis Solitaire vereinzelt stand, um dann abzudrücken; und er sah Solitaire nach dem scharfen trockenen Knall zusammenzucken, einen kurzen Luftsprung machen und ins Gras fallen wie ein totgeschossenes Kaninchen. Er wußte, daß diese Vision Emily Tag und Nacht quälte, seit sie Solitaire wieder verloren hatten. Ach, er hätte warten sollen, bis er ein wenig besser beisammen gewesen wäre! Sie hätte ihn nicht so austricksen können, wie sie es getan hatte, wäre er so beweglich wie gewöhnlich gewesen! Und sie war überdies die Perle, die beste aus der ganzen Herde, dazu ausersehen, dem Gestüt durch ihr

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