Im Schatten des Ringes
noch nicht einmal das nasse Laubwerk auf dem Grund des Tals seine Ausbreitung verhinderte. Und trotzdem, obwohl ein rauchähnlicher Dunst aufstieg, verschlang dieses Feuer nichts.
Tarana zitterte. „Wir können nicht fliehen! Die Wolken teilen sich, und es fällt vom Himmel herab!“ Sie starrte mich anklagend an, als hätte ich das Feuer herbeigerufen.
„Es ist Licht“, meinte Chel, eher von Hoffnung als von beweisbarem Wissen beseelt, und während er noch redete, holte das Licht uns ein.
Als es auf unsere Augen traf, duckten wir uns und wandten uns ab. Schützend legte Baltsar seine Arme um mich. Tarana stöhnte gequält auf, und Chel fluchte. Wahrscheinlich hatte ich laut gewimmert – ich weiß es nicht –, denn das Licht schmerzte in meinen Augen. Allmählich jedoch begriffen wir, daß wir nicht von Flammen versengt wurden, sondern in einem Inferno aus grellstem Licht standen. Als meine Augen sich an dieses unbekannte Phänomen gewöhnt hatten, schaute ich zu meinen Gefährten. Ihre Pupillenschlitze waren schmaler, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.
„Das Licht des Gottesfeuers“, stieß ich hervor, wobei ich tief durchatmete, „kommt also vom Himmel.“
Chel nickte, und Taranas Gesicht verfinsterte sich.
Unsere Furcht machte einem grenzenlosen Staunen Platz, und wir starrten gebannt auf die hell leuchtende Gebirgslandschaft. Die Wolken, sogar die entferntesten, wurden vom hellen Licht aufgelöst. Sie waren von einem silbrigen Strahlenkranz gesäumt, als sie auseinanderwichen und noch mehr Licht zum Boden herabdringen ließen. Die Quelle dieses Lichts, wie wir nun erkennen konnten, war eine mächtige Kugel, die an den Gebirgshängen emporstieg. Und als sie die Gipfel erreicht hatte, stürzte sie zu unserer Überraschung nicht ins Tal hinunter, sondern setzte ihren Weg am Himmel fort. Ein derartiges wunderbares Ereignis weckte erneut unsere Furcht, jedoch waren wir zu diesem Zeitpunkt bereits wie verzaubert und konnten nichts anderes tun, als das Wunder zu betrachten … den weißen Himmel, das silberne, strahlende Tal, die schwarzen und kohlendüsteren Schatten der Berge. Schließlich wurden wir Zeuge, wie die letzte der erleuchteten Wolken davongeweht wurde. Und dann hatten wir einen ungehinderten Blick auf die Himmelsbrücke, die sich von einem Horizont zum anderen spannte. Es war erschreckend und wundervoll zugleich, da wir nun nicht mehr genau darunter standen, sondern den Rand sehen konnten, der so schmal und scharf war wie die Klinge eines gebogenen Messers. In der Ferne unter dem Bogen der Himmelsbrücke sahen wir unsere Heimat – im Dämmerlicht, düster, für immer und ewig vom Gottesfeuer getrennt, da es vom Schatten der Himmelsbrücke überdeckt wurde. Ich spürte eine unendliche Dankbarkeit in mir. Fast hätte ich vor Freude und Glück laut aufgeschrien, denn dies hier war das Licht, das mir im Traum erschienen war.
Taranas bebende Stimme riß uns aus unserer Versunkenheit. „Ich werde jetzt auf eine Vision warten „, erklärte sie. Als ihre Begleitung sich zitternd zu Chels Lagerfeuer drängte, hielt Tarana sie auf. „Ich werde das Gottesfeuer befragen.“
Sie kniete nieder, und es gab eine kurze Verzögerung, da einer der Begleiter Taranas zeremonielles Gewand holen mußte. Und es war genau in diesem Moment, als wir feststellen mußten, daß unsere Sklaven verschwunden waren, und zwar alle. Chel und seine Krieger verteilten sich und liefen mit hoch erhobenen Köpfen im Tal herum und suchten nach irgendwelchen Spuren und nach einer Witterung, aus der sie die Fluchtrichtung hätten entnehmen können. Baltsar folgte ihnen. Beinahe hätte ich gelächelt; mir war klar, daß wir uns so lange ausschließlich mit dem Gottesfeuer beschäftigt hatten, daß unsere Sklaven sich problemlos hatten aus dem Staub machen können. Dank ihrer überlegenen Sehfähigkeit beobachteten sie uns wahrscheinlich und machten sich über ihre ehemaligen Herren lustig, die von einer simplen Lichterscheinung fast um den Verstand gebracht wurden. Teon wäre wahrscheinlich sogar in brüllendes Gelächter ausgebrochen. Und die Vorstellung von einem lachenden Teon gefiel mir irgendwie.
Taranas Vorhaben wurde jedoch vom Verschwinden der Sklaven in keiner Weise beeinträchtigt. Sie legte den Schleier an, breitete die Arme aus und richtete ihre Blicke auf das Gottesfeuer. Meine Bewunderung für ihre Fähigkeit, so lange in einem trance-ähnlichen Zustand zu verharren, wuchs. Meine Augen fühlten sich
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