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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Kahi
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schon.»
    «Penis.» Saliha Arslan sah Unold abschätzend an. «Sagen Sie, sind Sie sonst auch so verklemmt?»
    «Er ist promovierter Linguist», warf Geigy ein.
    «Ach so, ich verstehe.» Die Ärztin lächelte. «Der ist nicht echt. Der Penis, meine ich. Er ist das Werk eines plastischen Chirurgen. Sehen Sie die Narbe am linken Unterarm? Sie ist typisch für Transmänner, die sich ihren Penoid aus dem Unterarmgewebe formen liessen.»
    «Transwas?»
    «Transmänner, also Frauen, die sich einer körperlichen Umwandlungsbehandlung unterzogen haben, um ihr anatomisches Geschlecht ihrer psychischen Geschlechtsidentität anzugleichen. Sie wissen schon: Hormontherapie, Mamareduktion … Brustverkleinerung», korrigierte sie sich rasch, als sie sah, wie Geigy die Augen verdrehte. «Offenbar hat sich unser Toter dazu für den T-Schnitt entschieden.» Arslan wies auf zwei T-förmige Narben unterhalb jeder Brustwarze. «Eher ungewöhnlich ist, dass die Vagina nicht verändert wurde. Üblicherweise gehört die Vaginalresektion nämlich zum Standardprogramm der genitalabgleichenden Frau-zu-Mann-Umwandlung, ebenso wie die Hysterektomie und die Adnexentfernung.»
    «Ja, ja», unterbrach Geigy Arslans Redeschwall. «Jetzt sagen Sie zwar endlich was. Aber wie man sich Laien gegenüber verständlich ausdrückt, müssen Sie noch lernen. Knapp zusammengefasst wollten Sie uns wohl mitteilen, dass Chris Morton in Wahrheit eine Frau ist, die sich ihre Brust entfernen und einen Penis basteln liess, ihre Vagina aber behalten hat. Richtig?»
    Saliha Arslan stieg das Blut ins Gesicht. «Ich wollte sagen, dass Chris Morton ein Mann ist, der in einem Frauenkörper geboren wurde», sagte sie. «Ob eine Hys… ob sich Morton seine Gebärmutter und seine Eileiter entfernen liess oder nicht, werden Ihnen die Kollegen in Bern nach der Obduktion sagen können.»
    Unold schnalzte mit der Zunge. «Das ist ja ein Ding. Der CEO der ASH war früher eine Frau. Ob die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat Bescheid gewusst haben?»
    «Wollen Sie damit suggerieren, Chris Morton wäre nie CEO geworden, wenn man gewusst hätte, dass er ursprünglich einen weiblichen Körper hatte?» Saliha Arslan zog sich die Handschuhe von den Händen und schleuderte sie Unold vor die Füsse. «Wenn ich meine Sachen packen und das Feld räumen soll, sagen Sie es lieber gleich.»
    «Ich wollte überhaupt nichts suggeri…»
    Bernhard Geigy bedeutete Unold zu schweigen. «Dr. Arslan, wenn Ihnen etwas an der Funktion der Amtsärztin liegt, sollten Sie schleunigst lernen, nicht alles persönlich zu nehmen. Mein Kollege hat weder die Ihre noch die Fähigkeit von Chris Morton angezweifelt. Er hat lediglich eine berechtigte Frage gestellt. Statt länger herumzuzicken, stellen Sie uns lieber den Totenschein aus und überlassen Sie alles Weitere uns.» Damit wandte er sich ab und zog Unold mit sich auf den Schlösslirain.
    «Ob das klug war?» Unold sah über die Schulter zur Ärztin, die sich mit hochrotem Kopf ein neues Paar Handschuhe überstreifte.
    «Die wird sich wieder beruhigen und hoffentlich was daraus lernen. Die Kripo ist eh schon am Limit. Wir können es uns schlicht nicht leisten, uns auch noch mit dem angeschlagenen Selbstwertgefühl unserer Amtsärzte herumzuschlagen.» Geigy liess seinen Blick über das lang gestreckte viergeschossige Gebäude gleiten, dessen Fenster auf das Wasserrad hinausgingen. «Wenn wir Glück haben, hat einer der Bewohner was beobachtet.»
    «Keine Chance. Da ist nachts keiner.»
    «Wie wollen Sie das wissen? Die Liegenschaft ist ja nicht gerade klein. Einen Hausmeister in Résidence gibt’s bestimmt.»
    «Wenn ich es Ihnen doch sage. Im ganzen Haus hat’s nicht mal ein klitzekleines Studio. Lediglich Unterrichts-, Weiterbildungs- und Praxisräume sowie ein Tageszentrum des ‹Roten Kreuzes›.»
    «Jetzt erklären Sie mir mal, warum Sie sich da so sicher sind.»
    «Zufall. Als ich den Gebäudekomplex zum ersten Mal sah, habe ich mich gleich in ihn verliebt.»
    Geigy stöhnte.
    «Ach kommen Sie. Dort zu wohnen wär echt was gewesen. Aber leider –»
    «Unterrichtsräume, Hueresiech.» Missmutig begann Geigy sich aus dem Overall zu schälen. «Die hätten aus dem Haus gescheiter ein Altersheim gemacht. Dann könnten wir uns jetzt vor Augenzeugen nicht mehr retten.»

SECHS
    Verstohlen musterte Patrick Unold seinen Chef. Seit sie den Tatort verlassen hatten, hatte Geigy kein Wort gesagt. Mit zusammengepressten Lippen steuerte er den BMW

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