Im Schatten des Schloessli
Gedanken kommen: Beim dritten Mal gibt’s keinen Kaffee.»
Geigy machte sich keine Illusionen darüber, wen sie damit meinte.
«Schade, ich fände die Idee reizvoll», antwortete Unold prompt. Er lächelte. «Vielleicht ändern Sie Ihre Meinung ja noch.»
Bernhard Geigy verwarf die Hände. «Haben Sie jetzt vollends den Verstand verloren? Gopfriedstutz, Unold, Süssholz raspeln können Sie, wenn der Fall gelöst ist! Und Sie», wandte er sich an Arslan, «kümmern Sie sich bitte um Mortons Frau hier. Je eher wir mit ihr reden können, desto besser.»
«Ich weiss nicht, ob ich das verantworten kann. Ein Nervenzusammenbruch als Folge des ersten Gesprächs mit Ihnen ist schon mal eine stolze Leistung. Aber vielleicht wollen Sie die Frau ja in den Selbstmord treiben.» Saliha Arslan kniete sich neben Simone Morton auf das schwarze Ebenholzparkett, dessen rötlich braune Masern im gedämpften Licht sanft schimmerten.
«Blöde Kuh!»
Saliha Arslan erstarrte. «Raus! Ich rufe Sie, wenn ich die Patientin versorgt habe. Übrigens: Wenn ich könnte, würde ich mich vor Ihnen auch in einen Nervenzusammenbruch flüchten.»
«Xanthippe! Und Sie nehmen gefälligst die Hand von meiner Schulter!»
Unold liess sich vom harschen Tonfall Geigys nicht beirren. Sanft, aber bestimmt schob er seinen Chef zur Tür.
«Haben Sie nicht gehört? – Dem Himmel sei Dank arbeitet die da nicht in Bern. Sonst würde ich den Staatsanwalt auf Knien anflehen, uns einen anderen Gerichtsmediziner zuzuweisen.»
«Das bleibt Ihnen ja nun erspart. Aber wenn Sie nicht unbedingt Kindermädchen spielen wollen, brüllen Sie um Gottes willen nicht so herum.» Unold bückte sich und hob einen Nuggi vom Fussboden auf.
«Himmelarsch. Das fehlte gerade noch.» Grummelnd verliess Geigy die Bibliothek. Unold folgte ihm kopfschüttelnd.
«Der Herr bewahre mich vor dem Idioten, der Sie zum Leiter der Abteilung ‹Leib und Leben› gemacht hat», rief Saliha Arslan Geigy hinterher.
Unold, der die Tür bereits zugezogen hatte, stiess sie nochmals einen Spalt weit auf. «Ich werde es meinem Onkel ausrichten», sagte er, «aber nur, wenn Sie mit dem Neffen des Idioten vorher einen Kaffee trinken gehen.»
«Einen Teufel werde ich», fauchte Saliha Arslan und wandte das Gesicht ab, um die aufsteigende Röte vor Unold zu verbergen.
«Eines sage ich Ihnen, wenn Sie tatsächlich ein Auge auf diese Frau geworfen haben, ist Ihr Praktikum beendet. Und wenn sich der Oberhäuptling auf den Kopf stellt.»
Patrick Unold gab keine Antwort. Mit wachsendem Interesse überflog er den zerknitterten Papierbogen, der auf der polierten Marmorabdeckung des Küchentresens lag. «Vielleicht sollten Sie Simone Morton nachher mal fragen, ob Ihr … Mann bedroht worden ist.»
«In einer Mordermittlung frage ich grundsätzlich nie, ob das Opfer Feinde hatte», schnappte Geigy.
«Ach, lecken Sie mich doch. Und glauben Sie bloss nicht, dass ich Ihnen mit einer allfälligen Sprachanalyse bei der Suche nach dem Verfasser dieser netten Zeilen helfe.»
«Nette Zeilen? Zeigen Sie mal her!» Mit zwei Schritten stand Geigy am Tresen und zog den Papierbogen zu sich heran.
«Da wird der Herr Kollege von der Kriminaltechnik aber keine Freude haben, wenn Sie den Drohbrief eines potenziellen Tatverdächtigen ohne Handschuhe anfassen.»
Geigy stutzte, dann lehnte er sich an einen der drei hochbeinigen Barhocker. «Verfluchte Weiber. Ausmerzen sollte man Sie! Allesamt.» Seine massigen Schultern sanken vornüber, bis sein Kinn beinahe den kalten Marmor berührte. «Gunnar Norberg, das schwör ich dir: Eines Tages zahle ich dir heim, dass du mir meine Frau genommen hast!»
«Ich kenne Sie kaum, und ich weiss auch nicht, was zwischen Ihnen und Ihrer Frau vorgefallen ist», begann Unold vorsichtig, «doch es gibt da eine interessante Definition von Wahnsinn beziehungsweise Unzurechnungsfähigkeit – sie stammt von Einstein, wenn ich mich nicht irre. Machte der nicht an der ‹Alten Kantonsschule› Matur? Wie auch immer. ‹Ein Unzurechnungsfähiger›, sagt Einstein, ‹ist einer, der mit dem gleichen Verhalten weitermacht, dabei aber ein anderes Ergebnis erwartet.› Vielleicht denken Sie mal darüber nach.»
«Ich darf Sie korrigieren, Sie Klugscheisser. Einstein sagte: ‹Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.› Und ich weiss nicht, worüber ich nachdenken soll, ausser über die Frage, ob ich Sie wegen
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