Im Schatten des Schloessli
haben könnte, mehr als nur verwischt haben. Das einzige brauchbare Sohlenprofil stammt vom Rettungsarzt. Und dass der Morton umgebracht hat, halte ich doch für eher unwahrscheinlich. Obwohl: Man hört immer wieder von Feuerwehrleuten, die die Brände legen, die sie anschliessend zu löschen versuchen.»
«Was ist mit Fasern oder Hautpartikeln? Wenn Morton von seinem Mörder aufs Wasserrad gelegt worden ist, müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn sich auf seinen Kleidern keine Textilfaserbruchstücke der Kleidung des Täters fänden.»
«Siehst du diese sechsundfünfzig Tütchen? Für jedes Scenesafe, mit denen ich Mortons Leiche zugepflastert habe, eines. Zuerst muss ich die sechsundfünfzig Klebefolien unter dem Mikroskop Millimeter für Millimeter absuchen. Dann muss ich die Aberhunderte von hautähnlichen Partikeln und Fasern, die ich darauf finden werde, sichern und danach in mühsamer Kleinarbeit alles ausscheiden, was vom Opfer selbst, von den Rettungssanitätern, von Mortons Frau oder von sonst einer garantiert unbeteiligten Person stammt. Bleibt noch was übrig, könnte es tatsächlich der Täter hinterlassen haben. Und wenn ihr mir in den nächsten Tagen einen verdächtigen Fingernagel präsentiert, kann ich mit etwas Glück vielleicht noch ein Hautfetzchen von Morton darunter hervorkratzen. Willst du schnellere Ergebnisse, musst du halt für einmal selbst was tun und ein bisschen Dampf geben.»
«‹Musst du halt für einmal selbst was tun und ein bisschen Dampf geben›», äffte Geigy seinen Kollegen nach. «Was glaubst du, was wir den ganzen Tag machen?»
Norberg zuckte mit den Schultern. «Was weiss denn ich? Eure Zehennägel lackieren?»
«Streng du dich verdammt noch mal ein bisschen an! Es muss hier einfach Spuren des Täters geben, das kann gar nicht anders sein. Genauso, wie da draussen wer rumläuft mit Spuren des Tatorts und der Tat auf sich.»
«Stell dir vor, ich kenne das Prinzip von Locard auch.»
«Würde man nicht denken. Ich erwähnte es allerdings primär für meinen Praktikanten. Der dürfte das –»
«‹Niemand kann eine strafbare Handlung vollziehen, ohne vielfache Spuren zu hinterlassen. Der Täter hinterlässt nicht nur Spuren am Tatort, sondern er trägt auch auf seinen Kleidern und seinem Körper Spuren des Tatortes und seiner Tätigkeiten mit sich.› Edmond Locard, 1877 – 1966, Pionier der Daktyloskopie in Frankreich und Gründer des kriminaltechnischen Labors in Lyon», rasselte Unold herunter. «Unnötig zu sagen, dass das Prinzip von Locard nicht nur für den Täter gilt, sondern für alle Personen, die am Tatort anwesend waren. Die Fussabdrücke von XY am Tatort und Erdkrümel an den Sohlen seiner massgefertigten Edelschuhe beweisen demzufolge nicht, dass XY wirklich der Täter war, sondern bloss, dass seine Schuhe an Ort und Stelle waren und den Tatort kontaminiert haben.»
«Tja, Bernhard, sieht so aus, als wärst du am Ende der einzige Trottel hier.»
«Lieber Trottel als Arschloch. Und jetzt tu mir den Gefallen und schaff mir eine brauchbare Spur herbei!»
* * *
Bernhard Geigy starrte verdrossen auf die Amtsärztin, die Chris Morton untersuchte. «Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Ihr Vorgänger war wesentlich gesprächiger.»
«Das wird daran liegen, dass er ein Mann ist», entgegnete Saliha Arslan, ohne sich in ihrer Arbeit stören zu lassen.
«Auch das noch. Eine Emanze.»
Saliha Arslan legte das elektrische Reizgerät, mit dem sie die Kontraktionsstärke im Bereich des Mundringmuskels gemessen hatte, in ihren Koffer zurück und nahm die Checkliste zur Hand, um das Messergebnis provokativ langsam einzutragen. Dann erst schaute sie zu Geigy. «Vielleicht wäre es gut, wenn Sie den Frust über Ihre Eheprobleme nicht an mir ausliessen.»
«Den Frust über meine was? Ich höre wohl nicht recht. Gopfriedstutzheilandsackverdammtescheissenochmal. Was gehen Sie meine Eheprobleme an? Wie kommen Sie überhaupt dazu …» Geigy keuchte. Dann drehte er sich zu Gunnar Norberg um. «Du Hurensohn, verdammter. Ich schlag dir den Schädel ein!»
Norberg hob beschwichtigend die Arme. «Bernhard, du weisst doch, wie die Jungs sind. So was lässt sich nicht lange geheim halten.» Er hüstelte.
«So viel zum Thema Gesprächigkeit», bemerkte Saliha Arslan trocken.
«Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, aber das Labor ruft.» Norbergs Miene wirkte längst nicht mehr so selbstsicher wie zuvor. «Wenn’s was Interessantes zu berichten gibt, erfahre ich es
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