Im Schatten des Schloessli
durch die Nacht. Unvernünftig und auch unnötig schnell.
Damit, bereits am ersten Tag bei der Kripo jemandem eine Todesnachricht überbringen zu müssen, hatte Unold nicht gerechnet. Zwar würde er die eigentliche Arbeit Geigy überlassen können, aber trotzdem. Beim Gedanken an das bevorstehende Gespräch raste sein Puls, und für Sekunden wähnte er sich wieder im dunkelblauen Zug der «Kingda Ka», einer der schnellsten und höchsten Achterbahnen der Welt. Während des rasanten Aufstiegs zum «Top Hat» hatte er damals nur eines gedacht: raus hier! Bei einer Geschwindigkeit von zweihundertsechs Kilometern pro Stunde und einer Höhe von einhundertneununddreissig Metern eine stupide Idee.
Unold rieb sich die Schläfe, doch das quälende Pochen darin blieb. Er fragte sich, ob er gut daran getan hatte, seine prüfungshysterischen Studenten gegen einen Job bei der Kripo einzutauschen. Mit dem Anblick von Leichen konnte er leben; jener von trauernden Hinterbliebenen hingegen machte ihm Angst. Dass sein Praktikum mit einem Mordfall begann, war natürlich Zufall; dass er aber hautnah in die Ermittlungen miteinbezogen wurde, verdankte er ausschliesslich seinem Onkel. Offenbar war dessen Einfluss als Kommandant der Kantonspolizei Aargau so gross, dass sich sogar ein Holzkopf wie Geigy an dessen Weisungen hielt.
Schneller, als es Unold lieb war, hatte der BMW die Fröhlichstrasse erreicht und kam vor der Nummer 17 zum Stehen. Hof und Garten der Villa wurden jäh in gleissendes Licht getaucht.
«Viel genützt hat ihm das nicht gerade», brummte Geigy. Ächzend quälte er sich aus dem Dienstwagen.
«Wie?»
«Diese Festbeleuchtung.»
Unold nickte. Dass ein Top-Banker Vorkehrungen zum Schutz gegen Einbrecher und Schlimmeres treffen musste, bewiesen die Ereignisse einmal mehr. Dennoch fand auch er das Übermass an Helligkeit übertrieben.
Sowie die Türen des BMW ins Schloss fielen, schlug in der Nähe ein Hund an.
Geigy wies mit dem Kinn zum Haus gegenüber, wo am Erkerfenster eine weisse Spitzengardine zitternd zur Ruhe kam. «So jemanden hätten wir beim Wasserrad gebraucht.» Aufmerksam musterte er die Villa, deren Fenster im ersten Stock erleuchtet waren. «Mortons Frau scheint noch wach zu sein.»
«Wenn Ihr Lebenspartner die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen wäre, würden Sie bestimmt auch nicht seelenruhig schlafen.»
Geigys Gesichtszüge erstarrten. «Sparen Sie sich Ihren Psychologenscheiss für nachher. Und damit wir uns richtig verstehen: Ich schlafe bestens.»
«Einladend sieht die Villa nicht gerade aus», wechselte Unold rasch das Thema.
«Wegen der Mauer und des Eisenzauns? Sie würden natürlich einen Wegweiser aufstellen: Bettler, Gauner, Paparazzi und sonstiges Gesindel bitte hier entlang.»
Unold schwieg. Er gab ungern zu, dass Geigy recht hatte. Chris Morton hatte das Haus kaum nur aus rein ästhetischen Gründen als Wohnsitz ausgesucht. Unolds klaustrophobisches Ich erstarrte vollends, als er beim Blick durch das gut fünf Meter breite schmiedeeiserne Drehflügeltor realisierte, dass sämtliche Fenster im Erdgeschoss der Villa vergittert waren. Lediglich die Luken im niedrigen Anbau – der ehemaligen Remise oder Stallung, wie Unold vermutete – wiesen keinen sichtbaren Einbruchsschutz auf.
«Wenn Sie mit Träumen fertig sind, hätten Sie vielleicht die Güte, zu klingeln.»
«Da Sie anscheinend nicht in der Lage dazu sind, gern.» Unold ging zur Gegensprechanlage, die in den Pfeiler zwischen dem Drehflügeltor und einer angrenzenden Pforte eingelassen war. «Aber gestatten Sie mir vorher noch eine Bemerkung: Falls Sie beabsichtigen, Ihre Frau mit Ihrem Charme zurückzuerobern, sollten Sie noch etwas üben.»
Simone Morton kauerte zusammengesunken auf einem dunkelroten Ledersessel. Die Arme hatte sie um ihre blossen Beine geschlungen, ihr Körper schaukelte vor und zurück. Eben hatte sie noch hysterisch geschluchzt, nun wimmerte sie vor sich hin. Weder schien sie zu bemerken, dass das dünne Nachthemd ihre Brüste nur notdürftig bedeckte, noch nahm sie Notiz von Geigy, der nervös auf und ab tigerte. «Wie lange braucht diese Arslan denn noch?»
«So wie Sie sie bei der Schlösslimühle behandelt haben, können Sie Gott danken, dass sie überhaupt kommt.» Unold stand am Fenster und spähte auf die Fröhlichstrasse hinaus. «Na bitte, wer sagt’s denn.»
Saliha Arslan nickte Geigy knapp zu, als sie kurz darauf hinter Unold die Bibliothek betrat. «Damit Sie nicht auf falsche
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