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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Kahi
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nicht.
    «Schon gut.» Geigy unterdrückte ein Gähnen. «Erzählen Sie mir das morgen, wenn Sie mich über das Ergebnis der Untersuchung informieren. Ich lasse Sie bei Ihrer Staumauer raus, ja?»
    Tatsächlich waren sie bereits bei den Wahrzeichen des Telliquartiers, den vier lang gezogenen, hochgeschossigen Häuserzeilen, angekommen. Unold erinnerten sie zwar eher an eine Trabantenstadt in «Krieg der Sterne» als an Staumauern. Aber dieser Kosename hatte sich nun mal unter den Tellianern eingebürgert.
    Unold musterte Geigy von der Seite. «Und Sie?», wollte er geradezu besorgt wissen.
    Geigy fuhr den BMW an den Strassenrand, stellte den Motor ab und legte die Hände auf die Knie. Unold bemerkte, dass sie leise zitterten.
    «Sarasin.»
    Ein Mazda-Fahrer, der aus der Tiefgarage geschossen kam und abrupt abbremsen musste, verwarf die Arme hinter dem Steuer. Zwei kleine Buben spazierten auf dem Trottoir. Der eine trug einen schwarz-weissen Fussball unter den Arm geklemmt, der andere schob ein Velo mit Stützrädchen neben sich her.
    «Wollen Sie darüber sprechen?»
    Geigy schüttelte den Kopf. «Davon werden sie auch nicht wieder lebendig.»
    «Das nicht, aber –»
    «Und dann gehe ich nochmals zur ASH », sagte Geigy rasch.
    «Wenn ich Sie begleiten soll –»
    «Heilandsack, jetzt steigen Sie schon aus! Ich brauche möglichst bald das Ergebnis Ihrer Analyse.»
    «Bin ja schon weg. Nur eines noch: Denken Sie an die Abzugsverlängerung. So was bastelt man nicht schnell im Affekt. Sarasin muss seinen Selbstmord länger geplant haben. Hätten Sie ihn heute früh mit aufs Polizeikommando genommen, hätte er es heute Abend getan. Oder morgen. Ach ja, und bevor ich’s vergesse: Die Bauarbeiten beim ‹Schlössli› haben noch nicht begonnen. Falls es dort in der Nacht von gestern auf heute irgendwelche Bauabschrankungen gegeben hat, stammen sie ganz bestimmt nicht vom Stadtbauamt.»

    Unold blickte nicht zurück, als er über die Rasenfläche zum Hauseingang ging. «Heilandsack» ist viel zu harmlos, dachte er. Er hatte noch nie zu jenen gehört, die ihren Sonntag nach den Gottesdienstzeiten ausgerichtet hatten. Es hatte ihm aber auch nichts ausgemacht, bei Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen eine Messe abzusitzen. Insofern waren Gott und er bislang ganz gut aneinander vorbeigekommen. Doch da hatte er auch die blutige Wunde im Kopf einer Sechsjährigen noch nicht gesehen, die von ihrem eigenen Vater erschossen worden war.

ZEHN
    «Eins Komma drei Milliarden. Habt ihr das gelesen? Die ASH schreibt im zweiten Quartal voraussichtlich eins Komma drei Milliarden Franken Gewinn.» Gody Metzger liess die «Aargauer Zeitung» sinken und starrte auf einen imaginären Punkt in der Ferne. «Eins Komma drei Milliarden … Und das, obwohl so ein junger Schnösel erst vor wenigen Wochen zweieinhalb Milliarden verlocht hat. Eins Komma drei Milliarden. Und da nehmen sie dem Sarasin den ‹Bücherwurm› weg. Und jetzt ist er tot.»
    Vincenzo Bionda drückte seinem Freund die Schulter. «Der Sarasin war schon lange depressiv, weisch. Seine Frau hat es Antonella erzählt.»
    Ärgerlich wischte Gody Metzger Vincenzo Biondas Hand von der Schulter. «Niemand löscht einfach so seine Familie und sich selbst aus.»
    « Porca miseria , das habe ich auch nicht sagen wollen. Schrecklich ist das, eine Tragödie. Aber auch anderen Leuten geht’s verschissen, weisch. Denkt an die Rosetta, meine Nachbarin mit ihrer kranken Tochter. Ich hab euch ja erzählt, dass ihr die Krankenkasse nichts mehr bezahlt, diese Verbrecher. Die erschiesst auch nicht gleich die ganze Familie.» Hilfesuchend schaute Vincenzo Bionda in die Runde. «Sagt doch auch mal was!»
    «V-v-vielleicht sollte Gody was essen. Er sieht g-g-ganz grau aus, nicht wahr, Flora? … Flora!»
    «Wie? Redest du mit mir?» Flora lehnte an der Theke, den Kopf auf die Hände gestützt, und schielte zu dem dunkelhaarigen Mann am äussersten Tischchen, der unablässig in sein Notizbuch kritzelte und sich dabei immer wieder über seinen Dreitagebart strich.
    «Unsere Flora hat im Moment anderes im Kopf, Alain, da kann unsereiner nicht mithalten.» Hans-Jakob Käser tätschelte Alain Schaads Bauch, über dem sich das grün-rot-karierte Hemd gefährlich spannte.
    «W-w-wenigstens weiss ich, wie man einen Rasierapparat benutzt», gab der zurück. Er schaute besorgt zu Gody Metzger, der in den letzten Stunden um Jahre gealtert schien.
    Sein Kumpel hatte den Blick des Freundes offenbar bemerkt.

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