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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Kahi
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stellte sie vor Geigy auf den Schreibtisch.
    «Etwas dagegen?»
    «Haben Sie sie wenigstens aufgewärmt?»
    «Sehen Sie hier einen Herd?»
    «Hier nicht, aber irgendwo im Polizeikommando hat’s bestimmt eine Mikrowelle.»
    «Mikrowelle, hören Sie doch auf. Lieber esse ich das Zeug kalt.»
    «Haben Sie etwa auch hier geschlafen?»
    «Was wird das jetzt, ein Verhör?» Geigy machte mit dem Arm einen ausladenden Schlenker Richtung Tür. «Ab in den Bunker. Die anderen können es bestimmt kaum erwarten, noch einen Mord aufklären zu dürfen.»

    «Was ist das nur für ein Mensch, der so was tut?» Iris Häuptlein stand vor der Magnetwand und betrachtete die Fotos von Stephan Rothpletz’ Leiche.
    «Abgesehen davon, dass der hier nun wirklich harmlos aussieht und geradezu gnädig ins Jenseits befördert worden ist – was meinst du genau? Dass delinquentes Verhalten mit einem bestimmten Persönlichkeitstypus verbunden ist oder dass du selbst so etwas nie tun könntest – was als Selbsteinschätzung einfach nur naiv ist.»
    «Gilles hat recht.» Geigy setzte sich an seinen Platz. «Stimmen die Umstände, könntest sogar du jemanden umbringen.»
    «Erschreckend, aber wahr.» Gilles Desnoyer zog einen ausgeschnittenen Zeitungsartikel aus seiner Aktentasche. «Das war gestern in der ‹Süddeutschen›.»
    «Zeig mal her!» Geigy nahm Desnoyer den Artikel aus der Hand. «‹Niemand ist vor Gewalt gefeit. Es könnte jederzeit wieder passieren, dass Familienväter und Durchschnittsbürger Kinder, Frauen und Männer ermorden. Denn in jedem Menschen lässt sich die Bereitschaft, zu töten, wecken.›»
    «Wer sagt das?», liess sich Häuptlein vernehmen.
    «Ein Psychologe, der Abhörprotokolle von Wehrmachtssoldaten ausgewertet hat.»
    «Wehrmacht. Eine Alltagssituation ist das ja nicht.»
    «Wenn du dich bloss nicht täuschst. Die ausgewertete Situation mag zwar speziell gewesen sein, die Untersuchungsergebnisse aber sind allgemeingültiger, als mir lieb ist.»
    «Ach, und wie lauten die?»
    «Damit normale, psychisch unauffällige Menschen töten, braucht es keine schrittweise Eingewöhnung. Befinden sie sich in einem Kontext, der das Ausüben von Gewalt nahelegt, können sie von null auf gleich die schlimmsten Taten begehen; wenn es sein muss, auch einen Mord.»
    Häuptlein schwieg.
    «Jetzt mach nicht so ein Gesicht», sagte Geigy. «Gilles hat nicht gesagt, dass du den Mord begangen hättest. Aber der Mensch ist nun mal keine berechenbare Maschine, und ein Verbrechen ist mehr als eine mechanische Reaktion auf einen Stimulus. Wir haben es immer mit einem komplexen Wechselspiel von Faktoren zu tun. Das macht unsere Arbeit ja gerade so schwierig.»
    «Ich finde die Frage von Iris Häuptlein dennoch berechtigt», erwiderte Unold. «Schliesslich hätte der Täter in dieser bestimmten Situation auch anders reagieren können. Hat er aber nicht. Und das könnte durchaus mit seiner Persönlichkeit zusammenhängen.»
    «Was gab’s da schon viel zu reagieren. Der Täter plante den Mord, suchte sich einen geeigneten Abschussort und zack! Stephan Rothpletz ist nicht mehr. Dass es Mord war, liegt auf der Hand. Und dass Johannes mit drinhängt, auch. Zwei Leichen, und beide haben in der Zeit vor ihrem Tod von ihm religiöse Hasstiraden erhalten. So viel Zufall gibt’s nicht mal bei Rosamunde Pilcher.»
    «Und ihr seid euch ganz sicher, dass die Briefe von Johannes sind?» Schnarrenberger sah fragend zu Unold.
    «Zu fünfundneunzig Prozent.»
    «Warum habt ihr ihn dann noch nicht verhaftet?»
    «Weil ich die Ergebnisse der linguistischen Untersuchung erst gestern Nacht bekommen habe und weil die Tatsache, dass Johannes anonyme Briefe schreibt, nicht automatisch bedeutet, dass er auch ein Mörder ist», erklärte Geigy. «Ich schätze aber, er wird», Geigy schaltete das Display des Smartphones ein, das vor ihm auf dem Tisch lag, «in der nächsten Viertelstunde hier eintreffen. Ich bin mal gespannt, wie er reagiert, wenn wir ihn mit Unolds Ergebnissen konfrontieren.»
    «Wir dürfen uns jedenfalls nicht zu früh auf Johannes als Täter einschwören und sollten die Frage von Iris Häuptlein unbedingt im Hinterkopf behalten», beharrte Unold. «Sollte sich herausstellen, dass Johannes mit den beiden Morden nichts zu tun hat, könnte uns die Frage nach dem biografischen Hintergrund des Täters wirklich auf seine Spur bringen. Was unterscheidet den Menschen, der ein Verbrechen begeht, von demjenigen, der nicht straffällig

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