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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Kahi
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wird?»
    «Angeblich fehlt bei Verbrechern oft der Vater, oder sie kommen aus Broken-Home-Verhältnissen, also aus strukturell unvollständigen Familien», sagte Geigy. «Über den Daumen gepeilt trifft das auf die halbe Schweiz zu.»
    Desnoyer schnäuzte sich geräuschvoll in ein Papiertaschentuch und knüllte es dann zu einer zerfransten Kugel zusammen. Lässig zielte er auf den roten Abfalleimer, der unter dem Lavabo stand. Das Zelluloseknäuel prallte auf den Rand des Kunststoffeimers, spickte einige Zentimeter in die Raummitte zurück und blieb, einem verendeten weissen Spatz gleich, als lebloses Häufchen auf dem Boden liegen. «Diese Tränendrüsen-alles-entschuldigen-schlechte-Kindheit-Geschichten habe ich satter als satt. Wo bleibt die Eigenverantwortung? Jeder Mensch kann in jeder Situation entscheiden, wie er sich verhalten will. Niemand zwingt einen dazu, mit dem Hammer zuzuschlagen, wenn man es nicht will. Man hat immer eine Wahl. Immer!»
    «Es geht nicht darum, etwas zu entschuldigen, sondern ein in Untersuchungen erhärtetes Merkmal zu haben, das uns helfen könnte, den Täter zu finden», beteuerte Unold.
    «Das sagt der, der vor Erfahrung im Täterfinden nur so strotzt. Wenn Sie mich fragen, Unold, kann in Untersuchungen jeder Scheiss erhärtet werden.»
    «So gesehen haben Sie recht: Untersuchungen sind wie die Bibel. Dort findet sich auch für alles und sein Gegenteil ein passendes Zitat.»
    «Könnten wir uns vielleicht wieder unserem Fall zuwenden? Nicht, dass eure Ausführungen über das Böse im Menschen allgemein und in Iris im Speziellen nicht interessant wären.» Liam Nasser liess die Finger über die Tastatur seines Notebooks gleiten. Eine tabellarische Übersicht erschien auf der Leinwand. «Während eures Ausflugs in die Moralphilosophie hab ich die wichtigsten Fakten der beiden Morde zusammengestellt. Gemeinsamkeiten sind kursiv, Unterschiede in Kapitälchen.»

    Geigy blickte schweigend auf die Zusammenstellung. «Nun», sagte er, als er alles gelesen hatte, «nach einem Wiederholungstäter sieht mir das eigentlich nicht aus.»
    Sein Handy klingelte.
    Er nahm den Anruf entgegen. «Ja?» Geigy sah zu Unold und nickte ihm zu. «Ist gut. Wir kommen.»
    * * *
    Unold schnappte hörbar nach Luft, als er wenige Schritte hinter Geigy den quaderförmigen Vernehmungsraum im vierten Stock des Polizeikommandos betrat. «Du meine Güte, ich hab heute doch noch gar nichts getrunken.»
    «Das wird sich demnächst ändern. Ich hab noch keinen hier herauskommen sehen, der sich nicht als Erstes einen hinter die Binde gekippt hätte.»
    «Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Ich muss in der Vorhölle gelandet sein.»
    «Keine Sorge. Hat alles seine streng wissenschaftliche Richtigkeit. Fragen Sie Ihren Onkel!»
    «Dieses pinkfarbene Grauen? Seine streng wissenschaftliche Richtigkeit?»
    Geigy lachte gequält. «Was für Pfäffikon und Biel recht ist, ist für Aarau eben billig.»
    «So was gibt’s auch in Pfäffikon und in Biel? Sie verarschen mich.»
    «Nicht doch. Nur ist bei uns bloss der Vernehmungsraum in diesem Bonbonton gestrichen worden, unseren Kollegen hat man hingegen die Arrestzellen versüsst.»
    Unold stöhnte. «Möge der Herr verhindern, dass ich je in Pfäffikon oder in Biel einsitzen muss.»
    «Ich für meinen Teil kann mich Ihrem Wunsch nur anschliessen. Ihr Onkel aber war ganz aus dem Häuschen, als er von den rosa Arrestzellen gehört hat. ‹Bernhard›, sagte er damals zu mir, ‹einen Raum, der selbst hartgesottene Schläger zu Lämmchen werden lässt, brauchen wir in Aarau auch.› Ich darf gar nicht daran denken, wie es hier aussehen würde, wenn ich im Stadtrat nicht etliche Flaschen meines besten Bordeaux hätte springen lassen. Aus dem Kredit für die Neugestaltung der Arrestzellen jedenfalls ist bis heute nichts geworden.»
    «Die Verbrecher werden Ihnen auf Knien dafür danken.»
    Geigy nickte. «Allerdings hab ich mir damit selbst ein Ei gelegt. Statt bei den Arrestzellen hat Ihr Onkel die neusten Erkenntnisse zum Thema ‹Farben und ihre Auswirkung auf die menschliche Psyche› eben bei der bereits bewilligten Renovierung des Vernehmungsraums umgesetzt. Mit dem Resultat, dass ich jetzt bei jeder Vernehmung beinahe an einem Zuckerschock sterbe.»
    «Dumm gelaufen.»
    «Das können Sie laut sagen. Ich könnte mich ohrfeigen. In den Arrestzellen halte ich mich so gut wie nie auf. Im Vernehmungsraum hingegen … Fünf Vernehmungen und Sie sind reif für die Klapse.»
    «Dann

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