Im Schatten des Schloessli
Lebensgefährtin nicht heiraten wollte», nahm Geigy den Faden wieder auf. «Vielleicht kommt Ihnen sein Tod zum jetzigen Zeitpunkt ja gar nicht so ungelegen.»
«Bin ich jetzt von der Auskunftsperson zur Verdächtigen mutiert?»
«Blödsinn. Die Frage ist rein hypothetischer Natur. In dieser Phase der Ermittlung spinne ich schon mal herum. Kriminalistisches Brainstorming. Wobei: So weit hergeholt ist dieses Szenarium auch wieder nicht. Sie wären nicht die erste Ehefrau, die Ihren Noch-Ehemann aus dem Weg schafft, und Sie werden kaum die letzte sein.»
«Sie mögen recht haben. Statistisch gesehen. Dennoch verfügen Sie über eine lebhafte Phantasie.»
«Die braucht man in meinem Beruf.»
Veronica Rothpletz zog ein Päckchen Gauloises aus der Clutch, die sie vor sich auf den Tisch gelegt hatte, und schüttelte eine Zigarette aus der Packung.
«Die können Sie gleich wieder zurückstecken. Interessantes Teil übrigens. Woraus ist die gemacht?»
«Die Zigarette?»
«Die Handtasche.» Geigy besah sich neugierig das genoppte graugrüne Glattleder. «Schlange? Krokodil?»
«Strauss.» Widerwillig liess Veronica Rothpletz die Zigarette auf dem Tisch liegen. «Ich dachte immer, Vernehmungsräume hätten keine Fenster», sagte sie plötzlich unmotiviert.
«Da gehen die Meinungen auseinander. Unsere Erfahrung ist, dass sich Tageslicht positiv auf die Befragungen auswirkt.»
«Ist das nicht unverantwortlich?»
«Beabsichtigen Sie etwa, sich in die Tiefe zu stürzen?»
«Nicht doch. Schliesslich habe ich nichts Unrechtes getan. Aber der eine oder andere hat es bestimmt schon versucht.»
«Idioten gibt es immer.»
«Das sagen Sie so ruhig? Immerhin sind wir hier im wievielten Stock? Im fünften?»
«Im vierten.»
«Die Leute müssen doch tot gewesen sein.»
«Nicht, wenn sich das Fenster nicht öffnen lässt und aus einem Spezialglas mit extrem hoher Durchbruch- und Durchschusshemmung besteht.» Geigy wandte die Augen nicht von der Frau, die verlangend auf die Gauloise schielte. «Wenn ich schon mal dabei bin, kann ich ja noch ein wenig weiter herumspinnen», brachte er das Gespräch zum Thema zurück.
«Tun Sie, was Sie nicht lassen können.»
«Nur mal angenommen, Sie wollten verhindern, dass Ihr Mann sich von Ihnen trennt –»
«Dann hätte ich ihn wohl kaum umgebracht.»
«Vielleicht hatten Sie es ja gar nie auf die Person Stephan Rothpletz abgesehen, sondern bloss auf sein Geld. Möglicherweise wollten Sie nur vereiteln, dass Ihr Mann sein Testament zu Ihren Ungunsten ändert.»
«Ich weiss nicht mal, ob er eines hatte.»
«Vorsicht ist immer besser als Nachsicht.»
«Diese Unterredung wird mir allmählich zu blöd.» Veronica Rothpletz erhob sich. «Sollten Sie konkrete Verdachtsmomente gegen mich haben, können wir sie meinetwegen fortsetzen.»
«Ich werde gegebenenfalls auf Sie zukommen. Nur eines noch: Wo waren Sie eigentlich am Freitag gegen siebzehn Uhr dreissig?»
«Sagte ich Ihnen das nicht bereits? Bei meinem Anwalt.»
«Geht’s etwas ausführlicher?»
Die Urologin stöhnte entnervt. «Benno Frickenschild. Obere Vorstadt 3. Telefon … Moment.» Sie nahm ihr Smartphone aus der Handtasche und scrollte durch ihre Kontakte. «Hier. Seinen Aszendenten kenne ich leider nicht.»
Geigy notierte sich die Nummer. «Und wo kann ich Sie im Falle weiterer Fragen erreichen?»
«Ist ‹weitere Fragen› euphemistisch für ‹konkrete Verdachtsmomente›?» Veronica Rothpletz mass Geigy erneut mit diesem besonderen Blick, der zwischen Verachtung und Dominanz oszillierte.
Geigys Unbehagen wuchs. Hätte sie ihm befohlen, ihre Stiefel zu lecken, es hätte ihn nicht weiter erstaunt. «Das haben Sie gesagt», erwiderte er, um den Gedanken schnellstmöglich wieder abzuschütteln. «Also, wie erreiche ich Sie?»
«Wie wenn Sie das nicht wüssten. Meine Handy- und meine Praxisnummer haben Sie ja. Und da ich die einzige Veronica Rothpletz in Chur bin, dürfte auch meine Festnetznummer kein Geheimnis für Sie sein. Die nächsten Tage gedenke ich allerdings in Aarau zu bleiben. Nach Stephans Tod gibt es noch einiges zu erledigen.»
«Wo übernachten Sie denn? Im ‹Aarauerhof›? … Nur für den Fall», fügte Geigy rasch hinzu, als er von Veronica Rothpletz’ Blick durchbohrt wurde.
«In Stephans Wohnung.»
Geigy horchte auf. «Wohnt da nicht dieses … fade Gemüse?»
«Gemüse kann man ausreissen.» Hastig schob sie ein Lächeln nach. «Jetzt denken Sie nicht gleich das Schlimmste! Die Frau wird
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