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Im Schatten des Teebaums - Roman

Titel: Im Schatten des Teebaums - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran Sylvia Strasser Veronika Duenninger
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Schließlich war es ein wildes Tier. Für einen Moment spielte Eliza mit dem Gedanken, zum Hanging Rocks Inn zurückzukehren, aber dann stellte sie sich den Wolf vor, der verwundet und unter Schmerzen in der Höhle lag. Nein, sie musste zumindest herausfinden, in was für einem Zustand das Tier war.
    Eliza entfachte die Laterne und betrat zögernd die Höhlen, in denen es stockfinster und kühl war. Sie hatte vor, denselben Weg zu nehmen, den sie mit ihrer Tante gegangen war. Das Licht der Laterne durchdrang die Finsternis. Eliza kam es so vor, als würden die Stalagmiten und die seltsamen Felsformationen in den Höhlen unheimliche, bedrohliche Gestalt annehmen. Ihre Sinne waren geschärft und in höchster Alarmbereitschaft, ihre Nerven standen unter Hochspannung. Sie überlegte, ob sie das Brot einfach dalassen und so schnell wie möglich wieder verschwinden sollte; dann aber holte sie tief Luft, um sich zu beruhigen, und versuchte, tapfer zu sein. Man durfte ein verwundetes Tier nicht leiden lassen.
    Eliza hielt die Laterne ein wenig tiefer, um auf dem Boden nach Spuren des Wolfs zu suchen – Blut, Pfotenabdrücke oder Fellreste. Doch alles, was sie fand, waren die skelettierten Überreste kleiner Tiere wie Eidechsen und Mäuse. Sie fragte sich, ob diese Tiere zum Sterben in die Höhle gekommen waren oder bei dem Versuch, einen Weg ins Freie zu finden, ihr Leben verloren hatten. Sie hoffte, dass nicht auch der Wolf schon auf diese Weise verendet war.
    Den Blick fest auf die Steine geheftet, die ihre Tante zur Orientierung auf dem Boden ausgelegt hatte, wagte Eliza sich tiefer in die Höhlen vor. Das einzige Geräusch, das sie vernehmen konnte, war das leise Plätschern des Wassers, das von der Decke tropfte. Die Luft in der Höhle war feucht und moderig. Wenn die Laterne erlosch, würde sie den Weg zurück zum Höhleneingang niemals finden. Bei diesem Gedanken brach Eliza der kalte Schweiß aus; sie hatte Mühe, sich wieder zu beruhigen. Langsam wagte sie sich in das Höhlensystem vor. Auf einer tieferen Ebene gab es kleinere Öffnungen, die zu weiteren Kammern führten, die seit Anbeginn der Zeit wohl keines Menschen Auge erblickt hatte. Eliza wusste, dass der Wolf sich in einer dieser Höhlen versteckt halten konnte, doch sie wagte es nicht, mit der Laterne hineinzuleuchten, aus Angst, er könnte sich auf sie stürzen.
    Irgendwann verlor sie jedes Zeitgefühl. Immer tiefer drang Eliza in das Höhlenlabyrinth ein. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um das Tier. Der Wolf war kein Haushund, der sich über ihren Besuch freuen würde, nicht einmal, wenn sie ihm etwas zu fressen brachte, das wusste sie. Er war ein Raubtier, vermutlich angeschossen und voller Zorn. War es dumm von ihr zu kommen, allein und unbewaffnet? Sollte sie sich ihre Niederlage eingestehen?
    Mit einem Mal überkam sie Panik. Ich muss zurück, dachte sie. Was tue ich hier nur?
    Eliza wandte sich abrupt um, als sie hinter sich ein Geräusch wahrnahm. Es war sehr schwach, ähnlich einem Wimmern. Vielleicht ein Kaninchen oder eine Beutelratte, versuchte sie sich zu beruhigen; das Herz schlug ihr bis zum Hals, und das Blut rauschte ihr in den Ohren. Sie hielt die Laterne so, dass das Licht die felsigen Höhlenwände erhellte, und betete, dass sie sich getäuscht hatte.
    Was in aller Welt hatte sie sich bloß dabei gedacht, in die Höhlen vorzudringen? Der Wolf könnte sie in die Enge treiben, vielleicht sogar töten …
    Eliza ließ das Brot fallen und lief auf zitternden Beinen in Richtung Höhleneingang zurück. Da hörte sie erneut ein Geräusch. Panisch wandte sie sich um, die Laterne hoch erhoben. Sie traute ihren Augen nicht, als sie einige Meter vor sich den Kopf des Wolfs sah, der aus einer kleinen dunklen Kammer lugte. Er schnappte sich eines der Brotstücke, die Eliza hatte fallen lassen. Dann huschte er zurück.
    Eliza starrte verblüfft auf die Öffnung. Sie war genau an dieser Kammer vorbeigelaufen, ohne zu ahnen, dass der Wolf darin gewesen war. Zweifellos hatte er sie beobachtet. Sie schauderte, als ihr klar wurde, wie nahe sie einer möglichen Gefahr gewesen war.
    Plötzlich kam der Wolf erneut aus der Kammer hervor. Eliza konnte sehen, dass er humpelte. An einem seiner Vorderläufe haftete getrocknetes Blut. In diesem Augenblick wich Elizas Angst dem Mitleid. Sie beobachtete, wie der Wolf sich ein weiteres Stück Brot schnappte und es voller Gier herunterschlang.
    Eliza betrachtete das Tier genauer und versuchte zu erkennen, ob es

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