Im Schatten des Teebaums - Roman
bevorzugt hat. Als wir Mädchen waren, hatten die Jungen es immer nur auf Matilda abgesehen. Für mich hat sich keiner interessiert. Und du kannst dich sicher noch erinnern, wie beliebt Richard war.«
Das konnte Clive allerdings. Er hatte sich immer darüber geärgert.
»Alle haben für Richard und Matilda geschwärmt. Sie waren das Traumpaar. Ich wollte immer, was Matilda hatte, aber jetzt begreife ich, dass ich es nur wollte, weil sie es hatte.«
»Du hattest mich, Henrietta. Ich habe immer nur dich geliebt.«
Henrietta nickte. »Ja, das weiß ich. Was für eine Ironie, dass ausgerechnet jetzt, wo ich deine Liebe endlich zu schätzen weiß und meine Familie verlassen wollte, um mit dir zusammen zu sein, Matilda alles zerstört hat.«
Clive setzte zum Sprechen an, schwieg dann aber.
»Ich war auf dem Weg nach Tantanoola, als die Mädchen aus dem Zug gestiegen sind«, fuhr Henrietta fort. »Ich habe ihnen gesagt, ich hätte ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen, wenn wir nach Hause kämen, aber Katie wollte zuerst mit Thomas sprechen. Ich habe auf sie gewartet, als plötzlich Matilda vor der Tür stand. In dem Moment war alles aus. Dabei wollte ich mich mit den beiden Mädchen in Ruhe zusammensetzen und ihnen sagen, dass wir beide, du und ich, uns lieben und dass ich ihren Vater verlassen würde, um mit dir zusammen zu sein.«
»Hättest du das wirklich getan, Henrietta? Ich habe dir schon oft geglaubt und bin oft enttäuscht worden.«
»Meine Koffer stehen gepackt in meinem Schlafzimmer, Clive. Nichts und niemand hätte mich aufgehalten. Aber jetzt muss ich wohl ins Gefängnis. Richard wird mich nicht gehen lassen. Ich glaube, Matilda wollte lediglich, dass ich die Wahrheit zugebe, aber Richard wird die Polizei verständigen.« Henrietta trat ans Fenster und blickte hinaus im den Regen. »Ich habe es nicht anders verdient. Matilda hätte sterben können. Es tut mir nur leid, dass ich dir wieder einmal das Herz gebrochen habe.«
Als Tilly und Richard aus den Ställen kamen, sahen sie Clives Wagen die Auffahrt hinunter verschwinden. Sie konnten sich vorstellen, wie ihm zumute war. Er hatte die wahre Henrietta bis jetzt nicht gekannt. Nun zu erfahren, was sie getan hatte, musste eine bittere Enttäuschung für ihn gewesen sein.
»Ich habe beinahe Mitleid mit Henrietta«, sagte Tilly.
»V erschwende deine Gefühle nicht an Henrietta«, sagte Richard voller Bitterkeit. »Für das, was sie dir angetan hat, muss sie ins Gefängnis, und dafür werde ich sorgen. Sie hat dein Mitleid nicht verdient, Matilda.«
»Sie ist meine Schwester und Elizas und Katies Mutter, und trotz allem, was passiert ist, kann ich sie nicht länger hassen, Richard. Ich werde ihr wohl nie verzeihen können, aber ich würde ihr niemals etwas Schlechtes wünschen.«
Richard schüttelte den Kopf. »Du bist ein guter Mensch. Kein Wunder, dass ich dich liebe.«
Matilda lächelte.
Richard hatte seine Jacke ausgezogen und hielt sie Tilly nun über den Kopf. »Bist du sicher, dass du zurück ins Haus gehen und Henrietta noch einmal sehen willst?«
Matilda nickte tapfer. Jetzt, geborgen in Richards Liebe, spürte sie, dass sie allem und jedem ins Auge sehen konnte. Außerdem konnte sie ohnehin nicht fort, solange Brodie nicht wieder da war.
»Dann lass uns gehen«, sagte Richard.
Nachdem sie das Haus betreten hatten, machte er sich auf die Suche nach Henrietta. Er rechnete damit, sie irgendwo weinend und verzweifelt vorzufinden, vermutlich in ihrem Schlafzimmer, deshalb ging er zuerst dorthin. Aber dort war sie nicht, und auch nicht in den angrenzenden Räumen.
»Richard«, rief Matilda kurz darauf. »Richard!«
Matildas Tonfall versetzte Richard in Panik. Als er in die Diele kam, sah er Matilda mit schockiertem Gesichtsausdruck vor der Tür zur Bibliothek stehen. Sie hielt eine Notiz in der Hand.
»W as ist los?«, sagte Richard heiser und betete, Henrietta möge sich nichts angetan haben, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen.
Matilda reichte ihm die Notiz.
Richards Hand zitterte, als er las:
Lieber Richard,
ich mag ein Dummkopf sein, aber ich kann Henrietta nicht aufgeben. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich sie nicht geliebt habe. Ich weiß, dass es unrecht war, was sie getan hat, aber ich bin bereit, ihr zu verzeihen. Ich hoffe, auch Sie und Matilda werden ihr eines Tages vergeben können. Ich gehe mit Henrietta fort. Bitte versuchen Sie nicht, uns aufzuhalten. Wir wollen ein neuen Leben beginnen, weit weg von
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