Im Schatten des Teebaums - Roman
»Gestritten haben sie sich, sagst du? Dann muss es aber schon etwas sehr Ernstes gewesen sein, wenn Katie ihn so früh zu Hause besucht. Hat sie gesagt, worum es bei dem Streit gegangen ist?«
Henrietta zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass sie zum Tee bei den Clarkes eingeladen war. Und so, wie ich Bluebell kenne, war sie mal wieder sehr aufdringlich.«
Richard lächelte. »Das ist kein Grund zum Streiten, scheint mir.« So ernst, wie er befürchtet hatte, war die Sache offenbar nicht.
»Nein, aber Katie hat eine seltsame Bemerkung gemacht, als sie nach Hause kam. Sie hat gesagt, sie sei nicht mehr sicher, dass Thomas der Richtige für sie ist.«
Richard blickte seine Frau verblüfft an. »W as soll das denn heißen?«
»T homas ist ihr erster richtiger Verehrer, und da sie keine Vergleichsmöglichkeiten hat, weiß sie nicht, ob er wirklich derjenige ist, mit dem sie ihr Leben verbringen möchte. Ich habe ihr gesagt, dass es sich für anständige Mädchen nicht schickt, auf diesem Gebiet Erfahrungen zu sammeln.«
»Ich verstehe«, murmelte Richard zerstreut. Er war mit den Gedanken ganz woanders. Er hatte seinen Stallburschen in aller Frühe in die Stadt geschickt, damit der ihm eine Zeitung besorgte. Jetzt suchte er die Seiten nach einem Artikel von Eliza ab, fand jedoch keinen. Merkwürdig. Hatte George nicht gesagt, er rechne damit, dass sie ihm für die heutige Ausgabe etwas schickte? Was trieb Eliza nur in Tantanoola? War sie Matilda begegnet und wurde dadurch von ihrer Arbeit abgelenkt? Würde Matilda seiner Tochter erzählen, dass ihre Tante und ihr Vater einmal ein Liebespaar gewesen waren?
Henrietta, die nichts von Richards Gedanken ahnte, bemerkte seinen melancholischen Gesichtsausdruck und nahm fälschlicherweise an, dass er seine Gefühle für sie mit Katies Zweifeln wegen Thomas verglich. Sofort loderte Zorn in ihr auf. Wie oft mochten ihrem Mann im Lauf der Jahre ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen sein? Wie oft mochte er seine Entscheidung bereut haben, weil sie nicht das perfekte Paar waren? Henrietta hatte immer gewusst, dass er sie nicht mit der gleichen Leidenschaft liebte, wie er Matilda geliebt hatte, und das brach ihr schier das Herz. In dem Bewusstsein durchs Leben zu gehen, dass man gleichsam die zweite Wahl war, weil die große Liebe unerreichbar blieb – das wünschte Henritta nicht ihrem ärgsten Feind.
Plötzlich durchzuckte sie ein Gedanke, und sie riss entsetzt die Augen auf. »Katie hat gestern gesagt, dass sie am liebsten zu Eliza nach Tantanoola fahren würde.« Warum nur hatte sie ihre Tochter nicht ernst genommen?
Richards Kopf ruckte hoch. »W as?« Auf einmal war er ganz Ohr.
»Ja, sie meinte, ein bisschen Abstand würde ihr gut tun; deshalb wollte sie für ein paar Tage zu Eliza fahren. Ich sagte ihr, dass das überhaupt nicht in Frage käme, und dachte, damit sei der Fall erledigt. Katie widersetzt sich sonst doch auch nicht, im Gegensatz zu Eliza. Glaubst du, sie hat den Morgenzug genommen?«
»W egen der Landwirtschaftsausstellung werden heute mehrere Züge fahren«, sagte Richard nachdenklich. »Und du meinst, es war ihr wirklich ernst damit?«
Henrietta ließ sich auf einen Stuhl sinken und schaute aus dem Fenster auf ihre gestutzten Rosenbäumchen. »Ich weiß es nicht. Gestern Abend war sie jedenfalls ziemlich aufgewühlt.«
»Dann ist sie vielleicht wirklich gefahren.« Richard wusste, dass seine Älteste sich um Katie kümmern würde; deshalb war er nicht allzu besorgt. Andererseits hatte er noch immer keine Nachricht von Eliza. Er wünschte, er könnte selbst nach Tantanoola zu seinen Mädchen fahren. Wäre er nicht Henriettas Ehemann gewesen, hätte er keine Sekunde gezögert. Aber so …
Henrietta stellte sich vor, wie ihre beiden Töchter ihrer Schwester begegneten. »Du musst zum Bahnhof«, drängte sie ihren Mann mit aufsteigender Panik. »Du musst sie zurückholen! Katie darf nicht nach Tantanoola! Erst Eliza und jetzt sie!«
»Beruhige dich, Henrietta«, sagte Richard besänftigend. »Katie ist eine erwachsene Frau. Wenn sie fahren will, werde ich sie nicht daran hindern. Sie wird schon zurückkommen, wenn sie das Gefühl hat, dass es an der Zeit ist.«
Henrietta sprang erregt auf. »Ich hätte mir ja denken können, dass von dir keine Unterstützung zu erwarten ist!« Sie drehte sich abrupt um und stürmte hinaus. Wenigstens konnte sie jetzt nichts mehr sagen, was sie später bedauerte.
Alistair McBride verließ das Hotel
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