Im Schatten des Teebaums - Roman
Brodies Bemerkung über Tilly ging ihr zu Herzen. Der Mann steckte wirklich voller Überraschungen. Sie wünschte, sie könnte Tilly anvertrauen, was er über sie gesagt hatte; das würde ihrem Selbstbewusstsein enormen Auftrieb geben. Aber Tilly sollte nicht denken, dass hinter ihrem Rücken über sie geredet wurde; deshalb hielt Eliza es für klüger, nichts zu sagen.
Tilly stand ein Stück vom Fuhrwerk entfernt, die Arme über der Brust verschränkt, und versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Nachdem Eliza auf den Wagen geklettert war, drehte Brodie sich zu Tilly um und hielt ihr die Hand hin.
Tilly schluckte schwer. Schau nicht auf die Räder, schärfte sie sich ein. Zögernd, den Blick unverwandt auf Eliza gerichtet, ergriff sie Brodies Hand.
Brodie spürte, wie sie zitterte. »Ganz ruhig, Matilda, Sie schaffen das schon«, ermutigte er sie. »Ich halte Sie fest, Sie brauchen keine Angst zu haben.«
Tilly blickte in seine dunklen Augen. Er lächelte ihr aufmunternd zu.
»Komm, Tante Tilly, lass uns fahren«, rief Eliza ihr zu. »W ir wollen den Leuten in der Stadt zeigen, was für wunderschöne Waren du hast. Ich wette, die Wertungsrichter warten mit ihren ersten Preisen nur auf dich!«
Tilly holte tief Luft und kletterte tapfer hinauf. Als sie neben Eliza Platz genommen hatte, stieg auch Brodie auf den Kutschersitz und ergriff die Zügel. Von Eliza und Brodie in die Mitte genommen, vergaß Tilly beinahe ihre Angst. Es war das erste Mal seit zwanzig Jahren, dass sie mit einem Pferdefuhrwerk fuhr.
Katie war in den Acht-Uhr-Zug gestiegen und kam zwanzig Minuten später in Tantanoola an. Sie hatte sich am Abend zuvor unbemerkt aus dem Haus gestohlen, nachdem ihre Eltern zu Bett gegangen waren, und bei einer Freundin in Mount Gambier übernachtet. Der Zug bestand aus zwei Wagen, und unter den Passagieren waren viele Leute, die Katie gut kannte; dennoch suchte sie sich einen Platz, wo sie ungestört war und in Ruhe über ihr Leben und ihre Zukunft nachdenken konnte. Vom Bahnhof aus ging sie direkt zum Hotel, weil sie hoffte, Eliza dort anzutreffen.
Obwohl es noch früh am Morgen war, herrschte bereits buntes Treiben in den Straßen von Tantanoola. Von überall her strömten Leute herbei, mit Fuhrwerken, in Buggys, zu Pferd oder zu Fuß. Auf brachliegenden Grundstücken waren Zelte aufgeschlagen worden; Lagerfeuer brannten, über denen dampfende Feldkessel hingen, und Kinder spielten im Gras. Die Sonne schien, doch die Luft war trotzdem noch ziemlich frisch.
Die Tür zur Hotelbar stand offen, und Katie warf einen Blick hinein. Der Duft von Kaffee stieg ihr in die Nase; etwas anderes durfte zu so früher Stunde auch nicht ausgeschenkt werden. Sie wäre gern hineingegangen, aber sie konnte nur Männer drinnen sitzen sehen, und deshalb traute sie sich nicht. Unschlüssig blieb sie vor dem Eingang stehen. Katie hätte sich nie träumen lassen, dass sie mit siebzehn von zu Hause weglaufen würde, aber genau das hatte sie getan. Auf einmal war sie sich nicht mehr sicher, ob Eliza sie verstehen würde.
»Suchen Sie jemanden, Miss?«, fragte eine freundliche Männerstimme. Alistair McBride hatte bemerkt, wie Katie durch die Tür geschaut und sich dann erschrocken zurückgezogen hatte. Da sie bildhübsch war, war Alistair herausgekommen, um nachzusehen, wohin die junge Dame ging.
Katie drehte sich um und sah sich einem netten jungen Mann gegenüber. »Äh … nein.«
»Sind Sie sicher? Sie wirken ein bisschen verloren.«
Katie errötete. »Nun ja, eigentlich wollte ich ins Hotel und nach meiner Schwester fragen, aber … ich habe mich nicht getraut.« Verlegen blickte sie zu Boden.
Alistair fand sie entzückend. »V ielleicht kann ich Ihnen helfen. Wie heißt Ihre Schwester denn?«
»Eliza Dickens. Sie ist Reporterin bei der …«
»… Border Watch «, beendete Alistair den Satz.
»Ja«, sagte Katie überrascht. »Kennen Sie Eliza?«
»Flüchtig. Wir sind Konkurrenten. Ich bin bei der South Eastern Times .«
»Oh.« Katie senkte abermals den Blick. »Bemühen Sie sich nicht, ich werde sie schon finden … hier irgendwo.« Sie schaute sich ratlos um.
»Soll ich mich erkundigen, wo Tilly Sheehan ist?«
»W er ist Tilly Sheehan?«, fragte Katie verwundert.
»Die Dame, bei der Ihre Schwester wohnt. Tilly gehört zum Komitee für die Landwirtschaftsausstellung. Sie wird also heute in die Stadt kommen.«
»W ürden Sie das für mich tun? Das wäre schrecklich nett.«
Alistair
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