Im Schatten des Vaters
zur Wand und versuchte, mit dem Weinen aufzuhören, aber das erschien ihm alles so unglaublich ungerecht und aus heiterem Himmel, dass er nicht aufhören konnte. Er weinte noch, als sein Vater gegangen war, und dann fing er laut an zu reden. Auf ihn geschissen, sagte er. Verdammt noch mal, ich scheiß auf dich, Dad. Scheiß auf dich. Und dann weinte er heftiger und quiekte vor lauter Anstrengung, sich zu beherrschen. Hör mit dem Scheißgejaule auf, sagte er.
Irgendwann fing er sich, und er wusch sich das Gesicht und schürte den Ofen und stieg in den Schlafsack und las. Sein Vater kam erst Stunden später zurück. Er klopfte sich den Schnee von den Stiefeln, kam rein, zog das Regenzeug aus, ging zum Ofen und machte Essen.
Roy lauschte den Küchengeräuschen und dem Geheul draußen und dem Regen, der stoßweise an die Wände geworfen wurde. Es kam ihm vor, als könnten sie einfach so weitermachen,ohne zu reden, und womöglich wäre das sogar einfacher.
Hier, sagte sein Vater, als er die Teller auf den Kartentisch in der Mitte des Zimmers stellte. Roy stand auf, und sie aßen, ohne sich anzusehen oder miteinander zu reden. Kauten einfach ihre Fertignudeln mit Groppen und lauschten den Wänden. Dann sagte sein Vater, Du kannst den Abwasch machen.
Okay.
Und ich werde mich nicht entschuldigen, sagte sein Vater. Das mache ich viel zu oft.
Okay.
Der Sturm hielt noch weitere fünf Tage an, Tage, in denen sie warteten, wenig redeten und sich eingesperrt fühlten. Gelegentlich gingen Roy oder sein Vater kurz spazieren oder holten Holz, doch die restliche Zeit lasen sie, schliefen und warteten, und sein Vater versuchte, über Kurzwelle oder VHF Rhoda zu erreichen, was aber nicht funktionierte.
Man sollte doch meinen, ich komme da wenigstens mal für ein paar Minuten durch, sagte sein Vater. Wozu der ganze Scheiß, wenn wir das Gerät bei schlechtem Wetter nicht benutzen können? Sind Notfälle nur an schönen Tagen erlaubt?
Roy wollte schon sagen, Wie gut, dass wir es nicht gebraucht haben, bloß um wieder ins Gespräch zu kommen, fürchtete aber, es könnte als Kommentar zur Abhängigkeit seines Vaters von Rhoda verstanden werden, also schwieg er.
Als sein Vater schließlich doch durchkam, hatte sich der Sturm weitgehend gelegt. Roy ging in einen leichten Nieselregen hinaus, auf einen Boden, der so durchweicht war, dass er wie auf Schwämmen lief. Die Bäume tropften überall, dicke Tropfen auf Kapuze und Schultern seines Regenzeugs. Er fragte sich, wer Rhoda eigentlich war. Er war zwar viel mit ihrzusammen gewesen, nachdem sein Vater und sie geheiratet hatten. Aber seine Erinnerungen waren Kindheitserinnerungen, z. B. wie sie ihnen gedroht hatte, ihnen die Gabel in die Ellbogen zu bohren, wenn sie sie weiter auf den Esstisch stützten, und wie er sie einmal durch einen Türspalt im Badezimmer gesehen hatte. Einige Auseinandersetzungen zwischen ihr und seinem Vater, aber nichts Besonderes. Sie hatten sich erst vor einem Jahr scheiden lassen, als er zwölf war, aber jetzt war irgendwie alles anders, all seine Wahrnehmungen. Als wäre dreizehn ein anderes Leben als zwölf. Er konnte sich nicht erinnern, wie er damals darüber gedacht hatte, was in seinem Kopf vorgegangen war, denn damals hatte er über die Vorgänge in seinem Kopf nicht nachgedacht, also konnte er auch heute nichts mit den damaligen Ereignissen anfangen, als hätte er jemand anderes Erinnerungen. Rhoda hätte also sonst wer sein können. Für ihn war sie nur das Ding, das sein Vater haben musste, ein Verlangen wie nach einem Porno, ein Bedürfnis, das seinen Vater krank machte, wobei Roy wusste, dass es verkehrt war, unzutreffend, zu meinen, sie mache ihn tatsächlich krank. Er wusste, dafür war sein Vater selbst verantwortlich.
Hinter der Landspitze setzte sich Roy auf ein großes Stück kaltes, nasses Treibholz. Er sah seinen Atem herausnebeln und blickte übers Wasser und entdeckte tatsächlich ein kleines Boot, das etwa eine Meile vor ihm vorbeifuhr. Ein sehr seltenes Ereignis. Ein kleines Kajütboot unterwegs zum Fischen oder Campen, mit zusätzlichen Spritkanistern an der Bugreling. Roy stand auf und winkte, aber er war zu weit weg, um auch nur zu erkennen, ob jemand darauf reagierte. Er sah den dunklen Fleck, wo eine oder mehrere Personen waren, aber Genaueres konnte er nicht ausmachen.
Er fragte sich, ob das, was sein Vater mit Rhoda hatte, ihmjemals widerfahren würde. Er wollte es nicht hoffen, aber irgendwie wusste er jetzt schon,
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