Im Schatten des Vaters
Schritte, einszweidreivier, fünfsechssiebenacht, immer und immer wieder. Er marschierte weiter, bis er nicht mehr konnte, drehte um und marschierte zurück, aber ihm gefiel der Gedanke nicht, anzukommen, erneut etwas suchen zu müssen, das ihm die Zeit vertrieb. Die Tage waren so lang.
Als er sich der Hütte näherte, sah er, dass die Tür einen Spalt weit offen stand, was ihn aufregte. Das sah Roy ähnlich, sich einfach so auf die Socken zu machen, ohne die Tür zu schließen, und in Kauf zu nehmen, dass sie froren.
Und dann kam er zur Tür, blickte hinunter und fand seinen Sohn. Den Körper, nicht wirklich seinen Sohn, denn derKopf fehlte. Rau und zerrissen, rot, dunkel glitschig das Haar am Rand, überall Blut. Er trat zurück, denn als er zu Boden sah, merkte er, dass er auf etwas Loses getreten war, ein Stück vom Kopf seines Sohnes. Ein Stück Knochen.
Er stand da und wiegte sich und schaute und atmete. Er blickte durchs Zimmer, aber sonst gab es nichts zu sehen, und dann musste er sich setzen, und er setzte sich in den Türrahmen, ein paar Schritte von Roy entfernt, und sobald er im Kopf seinen Namen hörte, fing er an zu zittern, und er schien zu weinen, aber er weinte nicht und gab keinen Ton von sich. Was geht hier vor?, fragte er laut.
Er griff nach Roys Jacke und ruckelte sanft an Roys Schulter. Er sah auf das Blut an seiner Hand und wieder auf den Stumpf, der jetzt Roys Kopf war, und da fing es in ihm an zu heulen.
Das Heulen erreichte ihn nicht, er war wie ein Schauspieler in seinem eigenen Schmerz und wusste nicht, wer er war oder welche Rolle er jetzt zu spielen hatte. Er wedelte komisch mit den Händen und schlug sie auf die Schenkel. Er schob sich von Roy weg, aber das war gespielt, eine weitere Rolle, und er wusste immer noch nicht, was er tun sollte. Niemand sah ihm zu. Und obwohl das da nicht sein Sohn sein konnte, blieb das da sein Sohn.
Einiges da drinnen war weiß. Er wartete darauf, dass sich alles rot färbte, aber vergeblich. Und bald kamen die kleinen Fliegen, Mücken und Gnitzen, landeten im Kopf seines Sohnes und krochen und hüpften darin herum. Er versuchte sie zu verscheuchen, aber er wollte den Kopf nicht berühren, und sie ließen sich dort immer wieder nieder. Er beugte sich vor und blies sie weg, und er konnte den Gestank des Blutes riechen, und dann packte er Roy an der Jacke und zog ihn zu sich auf den Schoß. Der Stumpf mit einer Gesichtshälftewurde jetzt sichtbar, ein Kiefer, eine Wange und ein Auge. Jim sah sich das an, sah weiter hin, schüttelte ihn und sah hin, wenn er etwas erkennen konnte und nicht vom Schluchzen geschüttelt wurde, und die ganze Zeit dachte er nur, Warum? Weil es überhaupt keinen Sinn ergab. Er war derjenige, der Angst gehabt hatte, sich etwas anzutun. Roy war es gut gegangen, immer.
Nein, sagte er laut, immer wieder, obwohl er wusste, wie dumm das war. Er versuchte weiter, zu denken, denn sobald er aufhörte zu denken, weinte er fürchterlich. Und selbst das war ihm bewusst. Als wäre er außerstande, die Welt wieder zu betreten und instinktiv zu handeln. Als wären jeder Gedanke, jedes Gefühl und jedes Wort künstlich, alles, was er sah, selbst sein verstümmelter Sohn. Als wäre selbst sein toter Sohn hier vor ihm nicht echt genug.
Er legte Roy wieder auf den Boden und sah sich das viele Blut an seinen Händen an, auf seiner Jacke und seinen Jeans, stand auf, ging ans Wasser und watete hinein. Er japste vor Kälte, und die Beine waren schon taub. Es waren Stümpfe. Bei diesem Wort durchfuhr ihn wieder das Entsetzen, Stümpfe, und er schluchzte scheußlich. Er lief immer weiter durch die Untiefen und rutschte aus und tauchte unter und tauchte auf und stieg hinaus, zitterte nun auch vor Kälte und ging zu Roy zurück, der immer noch tot dalag, der sich nicht bewegt hatte. Er hatte Roy gerade noch lebend gesehen. Das war nicht länger als eine Stunde her, und Roy war es gut gegangen.
Da packte Jim eine unerklärliche Wut. Er ging in die Hütte, um etwas zu suchen, nahm das Funkgerät und schmetterte es zu Boden und trat immer wieder danach und nahm die Lampe und schleuderte sie an die Wand, wo sie zersplitterte, und nahm das VHF-Gerät und schleuderte auch das weg undwarf mit einem Beutel Räucherlachs, der offen auf dem Tisch lag, dann trat er den Tisch um, hielt plötzlich inne und blieb mitten im Zimmer stehen. Es waren, wenn überhaupt, nur ein paar Minuten verstrichen, und diese ganze Zerstörung hatte nicht geholfen. Sie interessierte
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