Im Schatten des Vaters
sagte sein Vater. Wir müssen in Bewegung bleiben. Du darfst der Müdigkeit nicht nachgeben und nicht schlafen. Wir müssen uns bewegen.
Sie wanderten weiter, und Roys Schritte wurden weicher und die Zeit zwischen ihnen, so schien es, länger. Er erinnerte sich an eine Fahrt hinten im Suburban seines Vaters von Fairbanks nach Anchorage, die Schlafsäcke lagen dort übereinander, und die Straße wiegte ihn vor und zurück. Seine Schwester war auch hinten in einem Schlafsack, und dann hielten sie an einer Blockhütte, in der es riesige Hamburger gab und Pfannkuchen, größer als alle, die Roy je gesehen hatte.
Roy bekam gerade noch mit, wie es dunkel wurde und wieder Tag, wie er hinknallte und aufwachte, und dann wieder dieses Rütteln, und als er aufwachte, lag er im Dunkeln in der Hütte im Schlafsack, und sein Vater lag hinter ihm, und er merkte, dass sie beide nackt waren, fühlte hinter sich das Haar auf der Brust und den Beinen seines Vaters. Er hatte Angst, sich zu bewegen, stand aber auf und fand eine Taschenlampe und richtete sie auf seinen Vater, der eingerollt im Schlafsack lag, die Nasenspitze dunkel, die Haut irgendwie komisch. Roy zog schnell trockene Kleider an, weil ihmso kalt war. Er legte Holz nach, schürte den Ofen und schob den Schlafsack dichter um seinen Vater, fand seinen eigenen, schlüpfte hinein und rieb Hände und Füße aneinander, bis er warm genug war, um wieder einzuschlafen.
Als er das nächste Mal aufwachte, war es hell und ofenwarm, und sein Vater saß auf einem Stuhl und betrachtete ihn.
Wie fühlst du dich?, fragte er.
Ich habe Durst und großen Hunger, sagte Roy.
Zwei Tage sind vergangen, sagte sein Vater.
Was?
Zwei Tage. Wir sind erst am nächsten Tag hier angekommen, und dann haben wir die letzte Nacht auch noch durchgeschlafen. Ich hab was Warmes zu essen für dich auf dem Ofen.
Es war Suppe, Schälerbsen, und Roy konnte nur einen kleinen Teller mit ein paar Crackern essen, bevor er sich satt fühlte, obwohl er wusste, dass er noch Hunger hatte.
Dein Appetit kommt schon wieder, sagte sein Vater. Hab etwas Geduld.
Was ist mit deinem Gesicht?
Wohl nur ein paar Frostbeulen. Da ist ein bisschen was erfroren. Ich habe nicht viel Gefühl in der Nasenspitze.
Roy dachte eine Weile darüber nach und fragte sich, ob das Gesicht seines Vaters sich wieder ganz erholen würde, wagte aber nicht zu fragen, und schließlich sagte er, Wir hätten es beinahe nicht geschafft, oder?
Das stimmt, sagte sein Vater. Ich hab’s viel zu sehr drauf ankommen lassen. Beinahe hätte ich uns beide umgebracht.
Roy sagte nichts mehr und sein Vater auch nicht. Sie verbrachten den Tag mit Essen und Ofenschüren und Lesen. Beide gingen früh ins Bett, und als Roy auf den Schlaf wartete,empfand er nicht die Spur der Euphorie, die er sich immer ausgemalt hatte, wenn Menschen knapp dem Tod entronnen waren. Er war einfach nur müde und ein bisschen traurig, als hätten sie da draußen irgendwas verloren.
Am Morgen hantierte sein Vater über eine Stunde lang mit dem Funkgerät herum, bevor er es schaffte, Rhoda anzurufen. Als er endlich durchkam, war nur der Anrufbeantworter dran.
Ach, sagte er ins Mikro. Ich hatte gehofft, ich könnte mit dir sprechen. Das klingt jetzt blöd auf dem Apparat, aber ich glaube, ich habe mich hier draußen verändert, und vielleicht bin ich jetzt etwas verträglicher. Das war alles. Ich wollte mit dir reden. Ich versuch’s irgendwann später noch mal.
Als er das Gerät ausschaltete, fragte Roy, Wenn du mit ihr redest und sie würde dich drum bitten, würdest du dann sofort zu ihr gehen?
Sein Vater schüttelte den Kopf. Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich mache. Ich vermisse sie einfach.
Sie verbrachten noch einen Tag in der Hütte damit, zu lesen, zu essen, warm zu bleiben und wenig zu reden. Zum Schluss spielten sie Hearts mit einem Strohmann, was nicht besonders gut klappte.
Ich habe über Rhoda nachgedacht, sagte sein Vater. Vielleicht lernst du eines Tages eine Frau kennen, die nicht besonders nett zu dir ist, aber dich irgendwie daran erinnert, wer du bist. Ihr kann man einfach nichts vormachen, verstehst du?
Roy verstand natürlich überhaupt nichts. Er hatte ja noch nie eine Freundin gehabt, außer vielleicht Paige Cummings, für die er drei Jahre lang geschwärmt hatte, und Charlotte, die er ein Mal geküsst hatte, aber offenbar kannte er die Mädchen aus den Pornoheften besser als echte Mädchen.
Als sie an dem Abend die Nase voll hatten vom
Weitere Kostenlose Bücher