Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
Rücken und klopfte ihr tröstend auf die Schulter.
Es dauerte lange, bis endlich ihr Schluchzen nachließ und sie sich aus seiner Umarmung befreite. Mit dem Handrücken wischte sie sich quer übers Gesicht. "Aber erzähl niemandem davon!", forderte sie ihn auf. "Schwör mir, dass du niemals irgendjemandem davon erzählst! Auch nicht Mama! – Schon gar nicht Mama!"
"Doch, wir müssen es ihr sagen! Mama muss davon wissen."
"Ich warne dich! Wenn du Mama was davon sagst, dann schneide ich dir die Ohren ab!"
"Haha, dass ich nicht lache!", sagte er überlegen.
Hazel trat rasch auf ihn zu und packte mit festem Griff nach seinem Ohr und begann es zu verdrehen.
"Au!", beschwerte er sich.
"Schwörst du’s mir?", verlangte sie.
"AU!!! Ich schwöre! Jetzt lass mich los, verflixt!"
Sie gab ihn frei.
"Und was machen wir dann?", maulte er, sich grollend sein Ohr reibend.
"Wir wollten doch sowieso übermorgen abreisen. Wir überreden Mama eben, dass wir schon morgen fahren. Morgen früh. Hayward darf nichts merken. Und um fünf Uhr nachmittags sind wir dann längst über alle Berge. Er kann von mir aus ewig auf mich warten."
London!
Aus dem Fenster der von Lady Irvin freundlicherweise bereit gestellten Kutsche heraus bot sich die Stadt im hellen Licht der Frühlingssonne von ihrer besten Seite dar. Sie kamen von der Oxford Street herein, hatten von Weitem schon den Blick auf die unzähligen Dächer und Türme der Häuser und Gebäude, die sich am Ufer der von hier aus verborgenen Themse drängten.
Das freundliche Bild wandelte sich jedoch im Näherkommen, denn mit dem Erreichen des Stadtrands und etlicher winziger Hütten drängten sich in die Kutsche auch üble Gerüche und vor allem das Geschrei und Gelärme, das sich aus dem Zusammenleben von einer halben Million Menschen wohl zwangsläufig ergab.
Die Kutsche ratterte durch etliche Straßen und hielt endlich vor Lady Irvins herrschaftlichem Haus. Der Butler, der mitgereist war, um sie in die Gegebenheiten des Hauses einzuweisen, würde allerdings am nächsten Tag mit der Kutsche wieder abreisen, denn Lord und Lady Irvin würden das nächste halbe Jahr im Ausland verbringen und das Abkommen zwischen beiden Familien bestand darin, dass die Hawthornes mietfrei in der Londoner Stadtwohnung leben durften, in dieser Zeit allerdings dafür Sorge tragen mussten, dass im Haus alles in Ordnung blieb, was vor allem bedeutete, dass man Ratten und anderes Ungeziefer vertreiben und den Schimmel im Zaum halten musste.
So zogen die Hawthornes ein, mit ihren Kisten, die sie mit dem Heuwagen gerettet hatten, sowie einiger Dienstbotenkleidung, die Ihnen Lady Irvin überlassen hatte.
Am nächsten Morgen sah man zwei junge Herren das Haus durch die Vordertür verlassen. Hazel hatte entschieden, dass ihr einziges mondänes Straßenkleid, das sie aus Manor House hatte retten können, für besondere Momente aufgehoben werden musste. So spazierten die Geschwister beide in Jungenkleidung durch die Straßen und hatten sich – von Abenteuerlust getrieben - fest vorgenommen, sehr viel weiter in die Straßen der Stadt vorzudringen als nur bis zur nächsten Wasserpumpe, die Lady Irvins Butler ihnen gezeigt hatte.
Schon bald wurde jedoch klar, dass das Gebot der Mutter, auf alle Fälle zusammen zu bleiben, reichlich hinderlich war, weil die beiden recht unterschiedliche Interessen hatten und ihre Neugier so groß war, dass sie jeweils nur mit größter Ungeduld auf den anderen warteten, wenn er bei etwas Interessantem stehen blieb. "Weißt du was", meinte Jeremy schließlich, "so kommen wir nicht voran: es hat ja eben schon zehn Uhr geschlagen. Wir werden uns trennen, und damit Mama nichts merkt, treffen wir uns in zwei Stunden wieder hier und gehen gemeinsam nach Hause."
"Ist das nicht zu gefährlich?", fragte Hazel zaghaft.
"Was bitte soll daran gefährlich sein, durch die Straßen einer Stadt zu gehen", knurrte Jeremy. "Schau dich doch um: sogar Kinder laufen hier zuhauf herum und niemand kümmert sich um sie."
"Es sind Straßenjungs, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest."
Jeremy grinste. "Du kannst ja meinen Degen haben, wenn du Angst hast." Er hatte sich Vaters Degen umgeschnallt und ging sogleich daran, den Gürtel zu öffnen. "Hier", sagte er. Während Hazel sich bewaffnete, meinte Jeremy: "Die einzigen Gefahren, die hier lauern, sind, dass man bestohlen wird (was uns aus nahe liegenden Gründen ja nicht zustoßen kann) oder dass man den Weg verliert und sich in den
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