Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
aufgefüllt worden, so dass man beim Darübergehen durchaus auch bunte Tonscherben unter seinen Füßen aufblitzen sehen konnte. Da es gestern geregnet hatte, war alles noch schlammig und aufgeweicht und etliche matschige Pfützen verlangten Hazels volle Aufmerksamkeit, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, dass ihr der Schlamm in die flachen Schuhe schwappte.
Die Häuser waren alle mehrstöckig, obwohl einige davon so windschief, dass Hazel fürchtete, sie würden über ihr einstürzen, wenn sie sich an ihrer Wand abstützen würde. Die Bewohner hatten von Straßenseite zu Straßenseite Schnüre gespannt, auf denen Wäsche trocknete, die nicht in jedem Fall aussah, als sei sie tatsächlich gewaschen worden. Sogar in den Kellerräumen, aus denen ihr stets ein modriger Geruch entgegenschlug, lebten Menschen. Frauen mit roten Gesichtern erledigten schwitzend ihre Hausarbeit, Männer zogen Karren oder schleppten Eimer, einige gingen einem Handwerk nach, Alte lungerten zahnlos herum, Kleinkinder saßen im Schmutz und zwischen allem rannten noch jede Menge Hunde und einige Katzen herum.
Von allen erntete Hazel verwunderte Blicke. Schließlich wagte sie es, eine junge Frau anzusprechen, die in einem Eingang saß. "Können Sie mir sagen, wo der Weg zum Hafen ist?" Erst nachdem sie diese Frage gestellt hatte, bemerkte sie, dass die Frau kein Bündel, sondern ein Neugeborenes im Arm hatte, das eifrig schmatzend an der entblößten Brust der Frau trank. Ohne Verlegenheit wies die Frau die Gasse hinauf. "Da lang unde neechste links. Kommense direkt druff."
Hazel bedankte sich und machte, dass sie fortkam. Sie hoffte nur, dass dieser Wegweiserdienst nicht auch einen Penny gekostet hätte.
Tatsächlich war die Auskunft richtig. Obwohl man den Fluss selbst zunächst nicht sehen konnte, ließ das Fehlen von Häusern am Ende der Gasse vermuten, dass dort die Themse entlang floss.
Himmel! Wie breit die Themse war! Auf Hazel, bei der zu Hause die Bezeichnung "Fluss" bedeutete, dass man das Wasser mit einem ordentlichen Sprung überqueren konnte, machte der Anblick einigen Eindruck. Etliche Boote und Schiffe waren darauf unterwegs. Mit einer Fähre konnte man zu den Stadtteilen auf der andere Seite übersetzen. Flößer zogen Baumstämme mit Hilfe von langen Stangen, an denen vorn scharfe Haken befestigt waren, ans Ufer. Mit Pferden und Stricken wurden die schweren Stämme zur Lagerung in den Hof eines Sägewerks gebracht, das direkt am Ufer lag.
Weiter flussabwärts war eine Anlandungsstelle der Flussfischer mit Fischmarkt, welchen der Geruch, den der Wind mitbrachte, schon lange im Voraus ankündigte. Da die Fischer nachts auf dem Fluss unterwegs waren und morgens ihren Fang verkauften, neigte sich der Markt schon seinem Ende zu. Hazel begegnete den Zangen eines großen Flusskrebses, den ihr ein Händler entgegenhielt, mit Respekt, der durchaus noch größer wurde, als sie erfuhr, was er und seine Kameraden im Dutzend kosten sollten.
Wegen des gestrigen Regens war der Wasserstand hoch, man konnte den noch unterhalb des Hochwasserschutzwalls liegenden Flusspfad nicht benutzen, nur barfuß, wie ihr einige Kinder, Mägde und Flussschiffer bewiesen. Hazel überkam zwar die Lust, ebenfalls mit nackten Füßen durch den Schlamm zu waten, aber das ging wegen ihrer weißen Strümpfe, die sie nachher ja wieder überziehen müsste, nicht an.
Die Turmuhr schlug Viertel nach elf, als sie in den Bereich des eigentlichen Überseehafens kam; der Hafen, an dem auch die Schiffe aus Indien anlandeten, lag nach Auskunft eines Matrosen noch weiter flussabwärts. Wenn sie rechtzeitig am Treffpunkt sein wollte, musste sie sich auf den Rückweg machen. Ihren Erfahrungen von vorhin gemäß peilte sie den Turm einer Kirche an und beschloss, die größte Straße zu nehmen, die ungefähr in diese Richtung ging. Ein Trupp Uniformierter kam ihr entgegen. Sie hatten Handzettel dabei, die sie unter den Schiffern verteilten, einige Exemplare nagelten sie auch an Kneipen oder an Bäumen an. Als Hazel an einem dieser Aushänge vorbeikam, konnte sie die dicke Überschrift lesen: "Gesucht werden: Lady Hamilton Graham und ihre zwei Kinder" und darunter eine leider recht zutreffende Beschreibung von ihnen allen dreien. Hazels Herz schlug wild, als sie gewahr wurde, dass einige der Uniformierten direkt auf sie zukamen. "Ruhig bleiben!", befahl sie sich. Sie steckte die Hände in ihre Taschen und schlenderte, eifrig die großen Schiffe bestaunend, an den Männern
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