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Im Schatten des Vogels

Im Schatten des Vogels

Titel: Im Schatten des Vogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Lüders
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Hoffnung, sie auftauchen zu sehen und einstimmen zu hören, erblicke aber nur Guðmundur, meinen geliebten kleinen Engel, und weine noch mehr.
    Wache auf, als Stefán sich zu mir setzt. Er sagt nichts, nimmt aber meine Hand und zieht mich hoch. Lächelt mich an. Ich lächle zurück und wünsche mir im selben Moment, dass er seinem Vater nicht so ähnlich sähe. Dann laufen wir über die Wiese nach Hause.
    Die Magd ist da, jung und fröhlich, ein heller Typ. Sie heißt Helga, ist fleißig und lieb zu den Kindern. Aber sie ist schlampig, und die Böden sind schmutzverschmiert, denn natürlich hat Vigfús sein Versprechen wegen des Küchenbodens wieder einmal gebrochen. Ich versuche, mich, so gut es geht, mit Helga abzufinden, habe aber ein Auge auf sie. Auf sie und Vigfús.
    Krame das Notenheft hervor, das Madam Poulsen mir einst gegeben hat, sitze an der Orgel und übe stundenlang. Singe mit den Kindern und bringe ihnen das Spielen bei. Sie sind eifrig und interessiert. Wenn schon eine Magd im Haus sein muss, sollte ich das in irgendeiner Weise auch genießen können!
    Vigfús ist jetzt mehr zu Hause als früher. Er sagt, dass er das meinetwegen tue. Wieso war er dann nicht zu Hause, als ich mit den Kindern allein war? Er will nicht unterwegs sein, wenn die Geburt einsetzt, hat noch genau vor Augen, wie schlecht es lief, als Guðmundur zur Welt kam.
    Abends lacht er herzhaft mit Helga und den Kindern. Ich versuche krampfhaft, wach zu bleiben, will ins Gelächter miteinstimmen, doch es gelingt mir nicht.
    Pétur Jakob ist in Rom angekommen. Zuerst ist er zu Gauja und Magnús nach Seyðisfjörður gereist und von dort nach Norwegen, wo er sich als Tischler verdingt hat. Wollte immer Baumeister werden. Hat seinen Traum nie aufgegeben.
    «Wie sehr wünschte ich mir, dass du hier wärst», schreibt er. «Die Kirchen sind wie Schlösser und die Orgeln um ein Vielfaches größer als die Orgel bei uns daheim. Der Organist spielt nicht nur mit den Händen. Er spielt auch mit den Füßen auf Tasten am Boden, dass es durchs ganze Gewölbe schallt. Dann denke ich an dich und wünschte mir, dass du bei mir wärst. In den Kirchen könntest du alles um dich herum vergessen. Einige haben eine hohe Kuppel. Wenn man dort hinaufschaut, sieht man ein göttliches Wesen vorbeischweben und schaut direkt in den Himmel. Im Petersdom ist eine schöne Statue von Bertel Thorvaldsen. Du solltest sie sehen!»
    Viele Jahre lang habe ich von Frauen in langen, hellen Kleidern in Grimsby und Rotterdam geträumt. Jetzt träume ich von Rom. Bin ständig mit Pétur Jakob unterwegs. Wir ziehen von einer Kirche zur anderen, manchmal lausche ich dem Orgelspiel, meist spiele ich selbst. Zwischendurch besuche ich Bertel im Petersdom. Ob Maria bei ihm ist? Hier beim Papst höchstpersönlich hoffentlich nicht wie eine Lotterliese mit entblößter Brust …
    Der Junge, der sich in die Welt schiebt, brüllt gesund. Die Geburt ist kraftraubend, doch alles läuft gut. Ich danke Gott dafür, dass er so gesund ist, kann den kleinen Guðmundur nicht vergessen und wie krank er war in der kurzen Zeit, die er lebte. Immer noch vermisse ich ihn. Jetzt habe ich vier Jungs und zwei Mädchen auf die Welt gebracht. Jede Geburt ist anders. Vielleicht war es bei Katrín am leichtesten. So winzig klein.
    Vigfús ist rücksichtsvoll, bringt mir frischen Kaffee und sitzt am Bettrand. Die Kinder stehen im Türspalt. Ich fordere sie auf, näher zu kommen und ihren kleinen Bruder anzusehen.Ingi lacht los, findet ihn klein und armselig. Prinzessin Anna schubst ihn weg und will zu mir ins Bett. Sie brüllt wie am Spieß, als sie weggebracht wird.
    Ich bin schwach und komme nicht so schnell wie sonst auf die Beine. Höre abends unten Gequatsche, das Lachen von Helga und Vigfús. Knirsche mit den Zähnen. Entschlossen, so bald wie möglich aufzustehen.
    Als ich so daliege, zerbreche ich mir den Kopf, wie ich verhindern kann, wieder schwanger zu werden. Sehe keine andere Lösung, als Vigfús den Rücken zu kehren, fürchte mich aber davor.
    Eines Tages kommt Papa angeritten. Er sieht nicht mehr gut, und Stefán hilft ihm die Treppe hinauf, bis zu meinem Bett. Er bleibt lange sitzen, betastet den Jungen und fragt, ob wir uns schon für einen Namen entschieden hätten. Ich weiß nicht, was ich antworten soll, weiß bloß, dass Papa gerne einen Namensvetter hätte. Und ich weiß auch, dass Vigfús den Jungen Björn nennen möchte.
    Papa hat keine Eile und sitzt bis in den Abend hinein bei

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