Im Schatten des Vogels
mir. Scherzt auf dem Weg nach draußen mit Helga. Ich höre das Lachen bis in den oberen Stock.
Irgendwann habe ich dann die Nase voll von all dem Gelächter. Vigfús kommt erst spät ins Bett, sagt, dass er arbeite. Doch wohl kaum in der Küche!
Ich schüttele alles von mir ab und stehe auf, erst wird mir schwindelig, aber dann geht es langsam besser. Ziehe mich an, schleppe mich die Treppe hinunter und sage Helga, dass sie nun gehen könne. Ich sei wieder auf den Beinen und bräuchte keine Magd mehr.
Doch Helga hat ihren Vertrag mit Vigfús abgeschlossen. Will nicht gehen, sondern warten, bis er zurück ist. Ich befehle ihr, sofort in die Gänge zu kommen. Rufe Stefán und bitte ihn, ein Pferd für Helga zu holen. Sie verlasse uns. Er steht in der Tür und ist hin- und hergerissen.
Kurz darauf kommt Vigfús. Er bringt mich nach oben und will, dass ich mich hinlege. Sitzt bei mir. Ich weine und verlange, dass Helga sofort geht. Vigfús ist ruhig, sagt, dass sie nicht gehe, bevor ich mich erholt hätte. Mein ganzer Körper schmerzt vor Müdigkeit, und ich schlafe auf der Stelle ein. Rühre mich nicht, als der Junge weint. Vigfús bringt ihn mir, ich lege ihn an die Brust und schlafe ein.
Als ich aufwache, ist es verdächtig still im Haus. Wo sind sie alle? Vigfús, Helga, die Kinder? Der Junge jammert, ich drehe mich um, gebe ihm die andere Brust, und wir schlafen weiter.
Es wird nicht mehr so viel gelacht wie vorher. Helga und ich sprechen wenig miteinander, doch ich komme langsam wieder zu Kräften und bestehe darauf, dass sie geht. Und eines schönen Tages ist sie fort. Ich bin zutiefst erleichtert, kämme mich und ziehe ein hübsches Kleid an, fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass alles gut läuft. Doch die Müdigkeit bringt mich um, und ehe der halbe Tag herum ist, bin ich unten in der Wohnstube tief und fest eingeschlafen. Schaffe es noch nicht einmal die Treppe hinauf, und auch nicht hinauf zum Stein. Dabei sehne ich mich so sehr nach draußen.
Katrín und Stefán kümmern sich um die Kühe, Ingi und ich bereiten das Abendessen vor. Der Junge und Anna weinen um die Wette, Vigfús macht ein finsteres Gesicht und ist verärgert.
Die Müdigkeit lässt nicht nach. Ich versuche, gut zu essen und zu schlafen, doch nachts hält mich die Angst wach. Dann döseich tagsüber. Ich bekomme nichts auf die Reihe. Alles sammelt sich an, sowohl Haus- als auch Näharbeiten. Stundenlang sitze ich an der Orgel, blättere in den Noten herum und übe ein wenig. Oft sitze ich bloß mit den Händen im Schoß auf dem Orgelstuhl. Dann bin ich mit Pétur Jakob in Rom. Spiele ein Orgelkonzert nach dem anderen, mit Händen und Füßen. Sitze in einer Kirche mit gewölbter Kuppel und schaue direkt in den Himmel. Mutter winkt, in einem goldenen Kleid und mit hochgestecktem Haar. Sie ist dort mit Maria. Sieht nun so glücklich aus …
Vigfús drängt mich zur Hausarbeit, droht mit einer Magd, sollte ich das Orgelspielen nicht sein lassen. Wie bringe ich ihn nur dazu, zu verstehen? Ich brauche Muße. Habe lange davon geträumt, ein Konzert zu geben. Die Orgel in unserer Kirche ist wahrlich nicht gut genug. Das Pedalspiel fehlt ganz, und sie ist sicher schlecht gestimmt, aber trotzdem kann ich mich damit begnügen. Hier ist keine bessere Lösung in Sicht.
Er sieht mich entgeistert an. Was rede ich da? Er weiß von keinem Konzert. Will von nichts anderem hören, als dass ich mich um den Haushalt kümmere. Wollen wir nicht am nächsten Sonntag taufen? Bei der Namensgebung hat er nachgegeben. Der Junge wird Jón heißen. Kann ich dann jetzt nicht mal Ruhe geben?
Ich will ihn umarmen, streicheln und ihm noch einmal für den Namen danken, als er sagt: «Seit Helga weg ist, läuft hier nichts mehr!»
Ich zucke zusammen, als Helgas Name fällt. Ja, will er nicht einfach zu ihr fahren und mit ihr lachen? Mit dieser Hure!
Wie vom Donner gerührt sieht er mich an.
«Du hast wohl den Verstand verloren!», sagt er und wirdblass. Dann rauscht er mit einem Türenknallen aus dem Zimmer und weckt mit diesem Krach den Jungen. Ich stütze mich auf die Orgel, während ich nach Luft ringe. Spiele dann weiter.
Als ich an der Weidemauer vorbei bin, gebe ich dem Pferd die Zügel frei. Raffe meinen Rock und reite auf bloßem Rücken wie in alten Tagen. Tut gut, die Kühle im Gesicht zu spüren. Zu spüren, wie ich in der frischen Luft stark werde. Schlage die Richtung zum Sander ein. Die Brandung donnert an Land, und der Vogel in meiner Brust
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