Im Schatten des Vogels
herausgeputzt. Jetzt haben sie freie Bahn, solange ich mit den Kindernvom Hof bin. Sie hat sich in bessere Fetzen geworfen, steht da und grinst. Immer gleich o-beinig, was sie auch anzieht, die dumme Mähre.
«Ja, diese Briefwechsel und der ganze Papierkram, der sich angesammelt hat und den ich heute abarbeiten will. Aber amüsiert euch gut», sagt er noch einmal und lächelt.
«Vater, es macht nur Spaß, wenn du auch dabei bist», ruft Anna. Er antwortet nicht, lächelt aber warm. Für die kleine Prinzessin hat ihr Vater immer ein Herz.
Ich habe große Lust, alles abzubrechen. Blicke über die Gruppe, die gespannt wartet. Strecke die Hände nach Jón aus, nehme ihn auf den Arm und mache mich auf den Weg zu Papa. Würdige Vigfús keines Blickes, verabschiede mich nicht.
Die Gedanken wirbeln durch meinen Kopf. Ich gehe für immer und ewig fort. Komme nie wieder zurück. Will mit den Kindern im Schloss bei Papa, Mutter und Halldóra sein. Packe mich selbst am Kragen. Weiß, dass ich schon wieder alles durcheinanderbringe.
Ich bemühe mich, stark zu sein, die Tränen zurückzuhalten. Die Freude zu genießen. Zuerst reiten wir bis ans Meer. Die Kinder steigen von den Pferden, sehen sich die Muscheln und Steine an, ich schärfe ihnen ein, vorsichtig zu sein. Erzähle ihnen von ihrem Großonkel, der beim Fischen am Sander sein Leben gelassen hat.
Doch sie hören kaum zu, lachen und haben ihren Spaß. Prinzessin Anna singt aus voller Kehle. Sie hat eine kräftige und klare Stimme. Alle stimmen ein, die Fröhlichkeit steckt mich an, und ich singe mit.
Dann reiten wir den Weg zum Schloss hinauf. Einar nimmt uns freudig in Empfang, Ingunn und die Kinder auch. DieCousinen und Cousins wollen sofort spielen, doch zuerst sollen sie kurz Papa Guten Tag sagen. Er hat sich angezogen und sitzt im Arbeitszimmer. Alt und würdevoll.
Es ist lange her, dass die Kinder ihn gesehen haben, und Prinzessin Anna fürchtet sich. Will nicht Guten Tag sagen, auch die anderen sind schüchtern, bis auf Ingi. Er geht geradewegs auf seinen Großvater zu, nimmt seine Hand und fragt, ob er magische Kräfte habe. Die Kinder auf den Höfen in der Umgebung würden das behaupten. Ich bin entsetzt. Hoffe bei Gott, dass er nicht auch nach dem Fremdvögler fragt. Papa lacht laut und befühlt Ingi, der sich ganz und gar nicht fürchtet.
«Magische Kräfte, sagst du. Ja, das kann ich dir sagen! Richte das den Blagen von mir aus!»
Die Kinder prusten vergnügt los, laufen dann nach draußen. Wir bleiben zurück, und Papa hält seinen schlafenden Namensvetter.
Als wir allein sind, frage ich ihn, ob er etwas gegen Angst und Seelenqualen dahat. Er hört zu, ohne ein Wort zu sagen. Will mehr wissen.
Ich verstehe nicht, wie offen und beredt ich auf einmal werde. Erzähle Papa von der Angst, die mich ans Bett fesselt. Sage ihm, dass ich zwischendurch voller Energie bin und alles anpacken möchte, was auch immer es ist. Dann kann ich vor Freude nicht schlafen, vergesse alles und springe hinaus ins Blaue. Komme dann todmüde und entmutigt zurück. Liege im Bett, von Angst und Schmach gepeinigt. Ich weiß, dass das für die Kinder schwierig ist. Und für Vigfús, der so viel Wert auf sein gutes Ansehen legt. Da hat der arme Vigfús aufs falsche Pferd gesetzt.
Es erleichtert mich, Papa davon zu erzählen. Er reicht mir seinen Namensvetter, öffnet dann den Schrank, und wir sehen seine Tropfen und Fläschchen durch. Er weiß, wo alles ist, aber ich muss ihm helfen, es zu finden.
«Ich hätte dir nicht erlauben sollen, ihn zu heiraten», murmelt er vor sich hin und fährt mit schwachen Händen über die Fläschchen. «War nicht aus demselben Stall wie du … Nicht aus demselben Stall …»
Er wiederholt das immer wieder. Tastet und brummt vor sich hin, doch ich antworte nicht. Lasse meine Wut nicht an ihm aus, obwohl ich ihn am liebsten kräftig schütteln und schreien würde: «Und Sveinn? Gab es deiner Meinung nach überhaupt irgendein männliches Wesen, das aus demselben Stall war wie ich?»
Ich gehe mit Pulver in einem Umschlag und Tropfen in einem Fläschchen nach Hause. Schreibe genau auf, wie ich es einnehmen soll. Dann erinnere ich mich an die Kuh, die angeblich eine zu große Dosis bekommen hatte. Genau wie Garpur. Ich reduziere die Einnahme um die Hälfte. Darf nicht vor meinen kleinen Kindern sterben.
Die Medikamente von Papa zeigen kaum Wirkung, ich nehme sie aber trotzdem weiter.
Stefán soll im Frühling konfirmiert werden. Er ist unglaublich
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