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Im Schatten des Vogels

Im Schatten des Vogels

Titel: Im Schatten des Vogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Lüders
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Sehe ihn nun aus einem ganz anderen Blickwinkel. Das Haus ist hoch gelegen. Im Zimmer sind sechs Betten, und in allen wird geschlafen. Unter dem Fenster stehen ein Tisch und ein Stuhl.
    In der ersten Zeit nach meiner Ankunft habe ich viel geschlafen. Wurde ganz in Ruhe gelassen. Mittlerweile komme ich langsam wieder auf die Beine. Alle sind lieb zu mir. Ich soll mich erholen und gesund werden. Und soweit ich es mir zutraue, soll ich auf dem Hof helfen. Doch ich sehne mich nach Hause. Vermisse die Kinder, und es schmerzt mich in der Brust. Katrín hielt ihre kleinen Geschwister im Arm, als ich ging. Sie haben bitterlich geweint. Wir alle haben geweint. Auch Vigfús.
    Þorgerður kam mitten in der Schlachtsaison auf die Welt. Sie war klein, aber gesund, und alles lief glatt. Vigfús fand es unmöglich, den Haushalt ohne Magd am Laufen zu halten. Als sie kam, ging es mir schlagartig schlechter. Der Sommer war gut gewesen, und die Angst hatte mich die meiste Zeit in Frieden gelassen, doch dann suchte sie mich wieder heim.
    Bergþóra kam aus dem Westbezirk. Ich habe so wenig wiemöglich mit ihr geredet. Hatte aber ein Auge auf sie und Vigfús.
    Die Wintertage waren schwarz, ich schaffte es nicht aus dem Bett und tat nichts anderes, als mich um den Säugling zu kümmern, der bei mir lag. Verweigerte das Essen. Der Vogel hatte eine neue Gestalt angenommen. Einst steckte er in Brust und Hals fest. Jetzt lag er auf mir. Wenn ich mich besonders schlecht fühlte, war es gut, unter ihn zu kriechen. Dabei versuchte ich immer, den Säugling zu beschützen, darauf zu achten, dass er nicht zerquetscht wurde. Sah keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht, hörte nur ab und zu Stimmen und das Kommen und Gehen um mich herum. Ansonsten war alles still.
    Sie hat sich bewegt, als du dich an den Bettrand gesetzt hast, hat sich umgedreht und unter der Decke hervorgelugt. Du hast sie rasch begrüßt und gelächelt. Dann hast du gefragt, ob sie sich aufsetzen möchte. Hattest kaum Hoffnung, doch sie versuchte, sich aufzurichten, und du hast ihr geholfen. Ihr ein Kissen in den Rücken geschoben und sie mit warmem Wasser gewaschen. Zuerst das Gesicht, dann runter bis zum Hals. Danach beide Arme und Hände.
    «Das tut gut», flüsterte sie und lächelte. Plötzlich hat sie die Augen auf dich geheftet und gefragt: «Katrín, siehst du den Vogel?»
    Du hast den Kopf geschüttelt. Hast keinen Vogel gesehen. Sie wollte, dass du das Bett absuchtest. Der Vogel war nirgends zu sehen, weder unter noch hinter dem Bett. Da atmete sie leichter und war einverstanden, ein wenig zu essen.
    Langsam ging es mir besser. Kam aus dem Bett und fing an, mich der Arbeit zu widmen. Wurde mit jedem Tag kräftiger. Wollte unbedingt zeigen, dass ich keine Magd brauchte. Habe alles aufmerksam verfolgt. Versucht, einen fremden Menschen im Haus zu tolerieren, seine Arbeitsweisen nicht zu kritisieren – doch die Sudelei und das ewige Geschwätz über alles und nichts warfen mich aus der Bahn.
    Der Arzt sitzt mir gegenüber am Tisch. Er ist ernst und hat grau meliertes Haar. Was tue ich eigentlich hier? Warum bin ich nicht bei meinen Kindern? Er nimmt Blut ab und gibt mir ein Medikament, von dem er sagt, dass es gegen meine Krankheit wirkt. Ich habe nichts. Bin bloß müde, muss daheim meinen Frieden haben und die Magd loswerden.
    Er spricht, ich schweige. Kann man von mir verlangen, dass ich mit einem wildfremden Mann über mein Befinden spreche – auch wenn er noch so gutmütig ist? Einmal bin ich während des Gesprächs tief und fest eingeschlafen. Er ließ mich schlafen und deckte mich zu. Als ich aufwachte, lächelte er und fragte, ob er so langweilig sei. Da lachte ich laut auf. Dann erschrak ich. Kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so herzhaft gelacht habe.
    Die Unruhe in meinem Körper wuchs mit jeder Woche. Ich merkte, wie ich von Energie durchströmt wurde, und arbeitete wie ein Berserker, tat, was ich konnte, um zu zeigen, dass ich mit dem Haushalt zurechtkam. Versuchte, mein Fernweh zu zügeln. Doch wie sehr ich auch kämpfte, ich kam nicht dagegen an. Ich konnte nicht mehr schlafen, vergaß den Säugling und brach Hals über Kopf auf. Vigfús hatte meinen Sattel versteckt, und ich ritt auf blankem Rücken.
    Papa war hocherfreut, als ich mich zu ihm ans Bett setzte. Wie immer fragte er, ob ich nun für immer und ewig zu ihm gekommen sei. Als die Milch aus meiner Brust tropfte, fiel mir Þorgerður ein, ich schwang mich aufs Pferd und eilte nach

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