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Im Schatten des Vogels

Im Schatten des Vogels

Titel: Im Schatten des Vogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Lüders
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Anstalten, hinauszustürzen.
    «Nein, nun warte mal», sagte Vigfús und hielt sie fest. «Hast du die Strickmaschine kaputt gemacht?»
    «Man kann hier nirgendwo einen Fuß absetzen bei all dem verfluchten Kram», jammerte sie. «Mein Fuß hat wehgetan, und ich musste mich sofort hinsetzen.»
    «Du hast mir nicht richtig geantwortet», sagte Vigfús und zog sie in die Wohnstube.
    Ich sank auf einen Stuhl am Herd und sah auf den Erdboden. Hörte aufgeregte Stimmen aus der Wohnstube, Jórunns Gekreische und Vigfús’ Ernsthaftigkeit, der lauter und deutlicher sprach als sonst. Die Schwestern hielten zu mir. Die Vorwürfe setzten der Magd zu, die jedoch selbst unumwunden zur Sache kam.
    Unter großer Anstrengung stand ich auf, ich nahm das Schultertuch vom Haken in der Diele und lief hinaufzum Stein. Saß dort, bis Katrín kam und mich nach Hause holte.
    Er ließ Jórunn nicht gehen. Vigfús sagte, dass sie bleiben müsse, bis er ein anderes Mädchen gefunden habe, und dass sie ohne Lohn arbeiten müsse, um die Strickmaschine zu bezahlen. Ich nahm die Unterhose von den Nadeln und strickte sie per Hand fertig. Vigfús versuchte, die Maschine zu reparieren, doch sie brach entzwei, sobald ich den Schlitten vor- und zurückbewegte, und ich konnte mich nicht mehr auf sie verlassen. Vigfús versprach, es noch einmal zu versuchen. Als ich ihn drängte, sagte, dass ich eine dringende Bestellung hätte, bat er mich, keinen Aufstand zu machen.
    Das verletzte mich, und ich machte ihn darauf aufmerksam, dass ich mit dem Stricken und Nähen zum Haushalt beitrug. Er lächelte überheblich, sagte, dass das, was ich mit meinem Herumgewerkle zum Haushalt beitrüge, keinen großen Unterschied mache.
    Ich rang um Fassung, zitterte vom Scheitel bis zur Fußsohle. Sagte dann, dass – wenn ohnehin alles wertlos sei – auch die Strickmaschine wertlos sei. Dann gebe es auch keinen Grund, Jórunn umsonst arbeiten zu lassen, um die Maschine zu bezahlen.
    Damit war Vigfús ganz und gar nicht einverstanden. Sagte, dass die Strickmaschine zweifellos teuer gewesen und es selbstverständlich sei, einen Zuschuss zu den Kosten zu bekommen.
    «Papa hat mir die Maschine geschenkt», sagte ich mit zitternder Stimme. «Sie gehört mir, und ich will bloß, dass Jórunn geht.»
    Vigfús wurde weiß im Gesicht und schlug mit der Faust aufden Tisch, dass die Tassen tanzten. Dann sagte er, dass er jetzt genug habe. Genug der Einwände und genug der ständigen Beschuldigungen. Er versuche, für einen großen Haushalt zu sorgen, und ich zeigte keinerlei Verständnis dafür. Als erwachsener Mensch, durch die ewige Hätschelei verdorben, verhielte ich mich immer noch wie ein verwöhntes Kind im Elternhaus.
    Das und noch viel mehr sagte er. Ich sah ihn an, als er all das loswurde, hörte aber schon längst nicht mehr zu, machte keine Anstalten, zu antworten, hörte nur ein Weinen hinter mir, vielleicht mehr als eines. Ich scherte mich nicht darum und verließ unter Anschuldigungen das Haus. Als ich die Haustür zuzog, rief Vigfús: «Ja, hau bloß ab nach Hause zu deinem Alten, wie immer, wenn es schwierig wird.»
    Ich machte die Tür wieder auf und knallte sie, so fest ich konnte, zu. Wieder und wieder. Und es ging mir ein bisschen besser.
    Als ich auf dem Pferd saß, wurde mir bewusst, dass Vigfús nicht mehr der junge, schöne Mann war, den ich geheiratet hatte. An den Wangen wurde sein Bart langsam grau, über der Oberlippe war er größtenteils weiß. Die Zeit hat ihre Spuren an ihm hinterlassen, nicht weniger als an mir. Ich hatte es bloß erst jetzt bemerkt, während meines Wutanfalls.
    Diesmal ritt ich nicht in gestrecktem Galopp. Seelenruhig schritten Brúnn und ich hinunter zum Strand. Dort setzte ich mich auf einen großen Stein und blickte auf die Wellen, die an den Schären brandeten. Erinnerte mich daran, wie ich vor langer Zeit dagesessen und dieselben Wellen im kalten Wind beobachtet hatte, der damals vom Berg Esja herüberwehte. Wusste auch damals weder ein noch aus. Jetzt wusste ich nur, dass ich nicht nach Hause zu Vigfús konnte, dass dortaber all meine Kinder waren, bis auf das eine von dem nur ich wusste.
    Ich wollte es Vigfús schon vor einer ganzen Weile sagen, hatte aber noch gewartet. Wusste genau, dass es ihm zusetzen würde. Noch ein Kind auf dem Weg. Wollte einen passenden Moment abwarten, wenn wir beide gute Laune hätten. Jetzt würde dieser Moment wohl kaum kommen. Lähmende Müdigkeit legte sich über mich, und es fiel mir

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