Im Schatten des Vogels
schwer, die Augen offen zu halten. Durfte hier am Strand nicht einschlafen.
«Mütterchen, willst du nicht mit mir nach Hause kommen?»
Ich schrak auf, als Stefán seine Hand auf meine Schulter legte, hörte seine Stimme aus der Ferne. Es hatte sich zugezogen, zu schneien und zu dämmern begonnen. Ich war eiskalt und hatte nasse Füße. Ich war eingenickt und bei der Flut nicht wieder aufgewacht.
Stefán half mir auf die Beine. Ich war steif vor Kälte und konnte kaum stehen. Er hatte eine Decke dabei und wickelte sie um mich. Endlich schaffte ich es aufs Pferd, und wir machten uns auf den Heimweg.
Ich konnte Stefán nicht sagen, dass ich nicht nach Hause wollte. Wo sollte ich auch sonst hin? Wo war mein Zuhause, wenn nicht bei meinen Kindern? Ich zitterte so sehr, dass ich kein Wort herausbrachte, wollte ihm sagen, wie lieb ich ihn hatte, konnte es aber nicht. Versuchte ein Lächeln, doch mein Gesicht war gefroren.
Ich trug von all dem hohes Fieber davon und lag lange bewusstlos da. In der Bewusstlosigkeit brachten mir Mutter und Halldóra ständig Kaffee, Sveinn spielte für mich auf der Geige, und die alte Kristbjörg steckte immer wieder den Kopf durchdie Tür und fluchte, was das Zeug hielt. Auch Papa war da und die Kinder. Plötzlich kam Magga. Ich drückte sie, so fest ich konnte, und ihr Duft füllte meine Nase. Ich wollte unter keinen Umständen, dass sie ging.
Als ich wieder zu mir kam, waren sie alle bei mir. Saßen an meinem Bett. Später erfuhr ich, dass man den Arzt gerufen hatte und dass auch Papa und Einar gekommen waren. Ich lächelte schwach, und die kleine Prinzessin rief: «Mutter, sie ist fort! Du kannst ruhig aufwachen.» Ich sagte nichts, lächelte aber ein bisschen mehr.
Vigfús tat sich schwer. Ich merkte, dass er lieb sein wollte, brachte mir mitten in der Woche Kaffee und verwöhnte mich. Zauberte sogar aus dem Nichts Fleischbissen hervor. Er weiß, wie gerne ich Fleisch esse. Vielleicht wollte er um Verzeihung bitten, konnte es aber nicht. Ich provozierte es auch nicht, mir war alles gleich. Sehnte mich bloß danach, wieder in der Bewusstlosigkeit und in den Träumen zu verschwinden.
Ich muss Vigfús von dem Kind erzählen. Und eines Tages, als wir beide allein sind und er am Bettrand sitzt, tue ich es schließlich. Er sieht mich entgeistert an. Als würde er seinen eigenen Ohren nicht trauen.
«Bist du ganz sicher, Weib?» Die Stimme zittert.
Ich nicke, sage, dass es ein Herbstkind wird.
«Willst du fühlen, wie es sich bewegt?», frage ich, lächle und nehme seine Hand.
Er wird leichenblass und schüttelt mich ab. Dann macht er ein frustriertes Gesicht: «Und Jón ist noch keine zwei Jahre alt. So geht das nicht weiter!»
Ich antworte nicht. Bin ganz seiner Meinung. Aber wem soll man das vorwerfen? Wir sind beide gleichermaßen dafür verantwortlich.Schließe die Augen, um ihn nicht so unzufrieden sehen zu müssen. Höre ihn aufstehen, die Treppe hinunterstapfen und die Haustür hinter sich zuknallen.
Ich erhole mich und mache alles langsam. Wie immer, wenn ich schwanger bin, strengt sich Vigfús besonders an. Er will lieb zu mir sein und abends früh ins Bett gehen. Ich bin oft müde und schlecht aufgelegt und nicht in der Lage, die Gelegenheit wirklich zu nutzen. Versuche, vor ihm im Bett und schon eingeschlafen zu sein, wenn er kommt, oder so lange aufzubleiben, dass er schon eingeschlafen ist. Doch er bleibt wach, wartet auf mich.
Von einer Magd ist im Moment keine Rede, doch ich weiß, dass es dazu kommen wird. Vigfús beeilt sich, den Küchenboden zu zimmern. Er freut sich wie ein Kind, als ich mich bedanke. Kann selbst nicht begreifen, warum er das nicht schon längst erledigt hat! Stellt einen Schrank in der Küche auf und baut ein Bücherregal für die Wohnstube. Der Kunsttischler. Möchte eine neue Strickmaschine kaufen. Ich mache die Kleider der Kinder fertig, und am Pfingstsonntag werden beide konfirmiert, Stefán und Katrín. Mit Beharrlichkeit und Nachdruck hat Katrín sich durchgesetzt. Die Sonne scheint, und eine eingeschworene Familie reitet zur Kirche.
Ich klammere mich an diese Stunden und vergesse all das Negative, bin glücklich und will es auch in Zukunft sein. Tief in mir weiß ich, dass es nicht lange anhalten wird, doch an einem so schönen Tag schafft es dieser Gedanke nicht an die Oberfläche.
VI
Das Land ist weit hier, und in der Ferne ist der Gletscher zu sehen. Es fällt mir schwer, zu glauben, dass das mein Gletscher ist, doch er ist es.
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