Im Schatten des Vogels
Bett komme. Meist war doch das Problem, dass ich nicht aus dem Bett kam!
Ich rede immer wieder von Jón, und eines Tages steht er in der Tür, mit Vigfús, der bis zu beiden Ohren lächelt. Der Junge ist schon wieder gewachsen. Er kommt zu mir, und ich spüre seine kräftigen Händchen an meinem Hals. Es durchströmt mich warm. Die Hände meines Papas.
Nachdem Þorgerður und Jón zurück sind, bleiben wir ohne Magd, und alles läuft gut. Katrín und Anna helfen fleißig im Haus. Stefán und Ingi packen draußen tüchtig mit an. Vigfús macht hier und dort Tischlerarbeiten, ist gefragt wie eh und je.
Immer noch werde ich gebeten, zu nähen und zu stricken, worüber ich mich freue. Dachte schon, dass man mich vergessen oder abgeschrieben hätte, doch es stehen zwei Hochzeiten vor der Tür, und ich muss für beide nähen.
Jetzt ist es wichtig, dass ich meine Sache gut mache. Katrín und Anna verfolgen alles gespannt, besonders Katrín. Ich will, dass sie auf die Mädchenschule gehen. Obwohl ich den Gedanken, sie wegzuschicken, nicht zu Ende denken mag. Was wird dann aus unserem Zuhause? Und aus mir? Eiskaltes Magdgrauen packt mich. Nein – wenn es so weit ist, wird es mir besser gehen. Habe ich das Schlimmste nicht schon hinter mir?
Die Nächte sind am produktivsten, ich kann nicht aufhören zu nähen, doch Vigfús bittet mich, ins Bett zu kommen. Er weiß, dass es nichts bringt, mit mir zu schimpfen. Wenn er lieb ist, bin ich nachgiebig. Doch ich kann nicht einschlafen, liege neben ihm und zähle in Gedanken auf, was noch alles zu tun ist.
Muss die Näharbeiten fertig haben, bevor die Schlachtsaison beginnt. Und dann ist auch noch Þorgerður ständig krank, plagt sich mit Husten herum und jammert. Ich weiß einfach nicht, was mit dem Mädchen los ist. Hoffentlich steckt sich Jón nicht bei ihr an. Er hat sich gerade von Mumps erholt.
Merke, dass ich schneller außer Atem gerate. Dass meine Hände zittern. Wenn ich doch bloß schlafen könnte … Mir fehlen die Pferde! Die Männer sind mit den Gäulen beim Schafsabtrieb, und ganz gleich, was es ist – alles muss ich zuFuß machen. Hat Papa mir nicht ein Pferd geschenkt? Doch, ganz sicher. Was ist daraus geworden?
Sehe in der Dunkelheit die Hand vor Augen nicht, hätte mich wärmer anziehen sollen. Oder auf den Tag warten. Da – jetzt höre ich das Meer rauschen. Laufe blind darauf zu. Sobald es hell wird, werde ich den richtigen Weg einschlagen. Eine Wahnsinnskälte ist das. Und dunkel. Kein einziger verdammter Stern zu sehen. Bei Mutter bekomme ich Kaffee. Wärme mich auf.
Dengang jeg drog af sted,
dengang jeg drog af sted,
min pige ville med,
ja, min pige ville med.
Det kan du ej, min ven,
jeg går i krigen hen …
Damals, als ich fortging,
damals, als ich fortging,
da wollt’ mein Mädchen mit,
ja, da wollt’ mein Mädchen mit.
Das kannst du nicht, mein Lieb’,
ich zieh’ doch in den Krieg …
Du findest sie draußen am Sander. Nass und kalt. Sie kann sich nicht auf den Beinen halten. Schlottert. Du setzt dich zu ihr, schlingst die Arme um sie und versuchst, sie zu wärmen.
«Wo willst du hin, Mutter?»
Sie ist dumpf und antwortet nicht. Du ziehst ihr alles an, was du entbehren kannst, versuchst, sie aufzurichten, doch sie hält sich nicht auf den Beinen. Und du kannst sie nicht tragen.
Du packst sie so warm ein, wie es geht. Sagst, dass du Hilfe holen willst. Doch sie hält dich ganz fest, will nicht, dass du gehst.
Du reißt dich trotzdem von ihr los und nimmst die Beine in die Hand. Rennst zum nächsten Hof, läufst so schnell, dass es in deinem Mund nach Blut schmeckt. Es hat zu schneien und stürmen begonnen, und Mutter muss sofort nach Hause.
VII
Eines schönen Tages steht plötzlich mein Bruder Pétur Jakob mitten in unserer Wohnstube. Dann springt er mit zwei Sätzen die Treppe herauf ins Obergeschoss. Groß und breitschultrig füllt er den Raum bis in den letzten Winkel. Ich traue meinen Augen kaum, weine und lache abwechselnd und drücke ihn an mich, als er sich an den Bettrand setzt. Dann stehe ich rasch auf. Habe sicher lange gelegen.
Als ich wissen will, weshalb mich niemand über sein Kommen informiert habe, sagt er, dass er mich überraschen wollte.
«Und das ist auch gelungen!», sagt er und lacht laut auf. Sein Isländisch klingt ein wenig merkwürdig. Es ist fast, als würde er singen, wenn er spricht.
Pétur Jakob will mit Mutter zu einem Arzt in Reykjavík. Er glaubt, dass man sie dort heilen kann, weiß es zwar nicht
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