Im Schatten des Vogels
hübsche Blume werden.»
Sie sieht abwechselnd mich und das Fädchen an, nimmt es und beginnt zu sticken. Nach einer Weile sieht sie auf: «Die Hauptsache ist natürlich, dass es uns gut geht.» Ich betrachte das kleine Gesicht und überlege im Stillen, ob sie noch ein Kind oder schon eine erwachsene Frau ist.
«Glaubst du, dass Stefán vielleicht bald nach Hause kommt?», frage ich, als wir wie so oft an der Mauer sitzen. Es scheint mir so lange her zu sein, dass er fortgegangen ist.
«Ich weiß nicht, aber wir können ihn besuchen, wenn du dich erholt hast. Fahren einfach mit dem Schiff zu Gauja nach Seyðisfjörður und dann weiter nach Norwegen. Wäre das nicht schön?» Jetzt strahlt Þorgerður.
«Ich habe mich erholt, Þorgerður, Liebes.»
«Wir müssen trotzdem Vater fragen», antwortet sie und sieht mich unruhig an. «Mach keine Dummheit, Mutter.»
Dieses ganze Gerede über Krankheit verstehe ich nicht. Sicher – dann und wann liege ich im Bett, aber das geht doch vielen so. Wenn ich munter und gut drauf bin, werde ich ständig an die Erkrankung erinnert. Wird gesagt, dass ich nicht zu viel arbeiten und mich nicht übernehmen dürfe. Mich nicht erschöpfen. Als würde sich niemand über die Kraft in mir freuen.
Einst habe ich wie meine Brüder gearbeitet. Sagte Papa nicht, dass ich ein Junge hätte sein und den Hof übernehmen müssen? Was hat sich denn geändert?
Mutters Medikamente sind aufgebraucht, und die neue Bestellung ist noch nicht angekommen. Nächstes Mal wirst du dichselbst ums Bestellen kümmern. Vater sagte, dass er es tun werde, aber welchem Teufel hat er bloß hinterhergetrödelt? Du weißt, dass sie teuer sind, aber sie werden nicht billiger, wenn man die Bestellung aufschiebt. Und Mutter geht es besser, wenn sie sie nimmt.
Sonst kommen die Tage, an denen es dir so vorkommt, als wäre diese Frau nicht länger deine Mutter. Was hat man ihr verabreicht? Ist es etwas, das ihr hilft, oder stellt es sie bloß ruhig?
An guten Tagen hat sie immer noch Freude daran, sich herauszuputzen. Vor Kurzem hast du sie gekämmt und angezogen. Sie war so elegant wie immer, sie sieht so schön aus, wenn sie zufrieden ist. Als ihr draußen auf dem Hof standet, schlug sie vor, ins Zunfthaus zu gehen und ein Theaterstück anzuschauen. Du hast genickt, und ihr habt euch auf den Weg gemacht. Nach einer Weile hielt sie an, warf dir einen scharfen Blick zu und sagte: «Warum spielst du mit mir, Mädchen? Du weißt verdammt noch mal genau, dass wir nicht in Reykjavík sind und hier kein Theater ist.» Dann brach sie in Tränen aus.
Du hast versucht, sie zu trösten, doch sie war mit nichts zufrieden. Wollte nach Reykjavík, redete unsinniges Zeug. Sagte, dass sie nicht länger in dieser Einöde wohnen wolle, wollte auf die Mädchenschule, mehr lernen und Lehrerin werden. Als du Vater davon erzählt hast, spielte er die Sache runter, kannte solche Anwandlungen schon. Meinte, dass es für Mutter vielleicht wirklich am besten gewesen wäre, in Reykjavík zu leben – doch jetzt sei es zu spät dafür.
Auf einmal kam er dir so müde vor. Armer Vater, was hätte er wohl am liebsten getan?
Ich hänge die Gardinen ab und wasche sie, schneide Kleider zu und nähe, ziehe die Betten ab und lüfte alles, übe an derOrgel, mache die Küchenschränke sauber und wasche die Wand ab. In diesem Haus ist wahnsinnig viel vor die Hunde gegangen, während ich krank war. Höchste Zeit, mal richtig was zu schaffen. Arbeite Tag für Tag, die Energie ist unerschöpflich.
Þorgerður versucht, mich zum Hinsetzen zu bewegen, zum Ausruhen und Weiternähen, behauptet, dass ich die Wohnstubengardinen schon gewaschen hätte. Unsinn! Sie sind völlig verdreckt. Sie will, dass ich hinaus auf die Bank gehe, in der Sonne sitze und stricke.
«Mutter, es macht so viel mehr Spaß, wenn wir uns unterhalten», sagt sie ganz offen.
«Ja, Liebes, ich komme zu dir nach draußen, wenn ich Zeit habe», rufe ich und mache weiter. Diesmal möchte ich nicht mit einer Magd enden. Muss zeigen und beweisen, dass ich das selbst schaffe.
Im Eifer zerbreche ich Gläser und Tassen. Ich stoße ständig irgendwo an, und manchmal rutschen mir die Dinge einfach aus der Hand und fallen auf den Boden. Es ist, als würde mir alles im Weg stehen. Oft glaube ich, dass sich die Wände bewegen und auch die Möbel. Vigfús bittet mich, den ganzen Wirbel sein zu lassen, doch ich kläre ihn darüber auf, dass ich diese Tassen immer schon hässlich fand. Will sowieso
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