Im Schatten (German Edition)
Wein getrunken. Aber das sind doch keine Probleme.« Ganz am Rande ihres Bewusstseins fragte Katherine sich, ob sie das Problem herunterspielte, die Augen vor der Wahrheit verschloss. War das vielleicht ein erstes Anzeichen gewesen? Sie hatte es nicht ernst genommen. Aber was hätte sie auch tun sollen? Hätte sie es vielleicht verhindern können?
» Wie war denn die Ehe deiner Eltern?«, forschte Sven weiter.
» Normal, denke ich. Etwas langweilig und eingefahren nach all den Jahren, aber sonst ist mir nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«
» Und was ist mit ihrem Job? Sie hat doch gearbeitet, oder?«
Katherine nickte , und Sven fragte weiter:
» Weißt du, ob es da irgendwelche Probleme gab?«
» Nein. Sie hat in letzter Zeit unheimlich viel gearbeitet. Aber sie hat ihren Job geliebt. Von Problemen hat sie mir nie erzählt.«
Sven zuckte kaum merklich mit den Schultern und zeigte auf das Tagebuch.
» Na ja, ihr schadet es ja nicht mehr, wenn du darin liest. Und wenn es dir hilft.«
» Es scheint gar kein richtiges Tagebuch zu sein. Ich meine, sie scheint kaum Erlebnisse aufgeschrieben zu haben, sondern eher ihre Gedanken.«
Sie blätterte das Buch durch. Am Anfang waren es nur spärliche Einträge, alle paar Wochen. Ihre Mutter beklagte sich über die mangelnde Mithilfe im Haushalt durch ihren Mann und ihren Sohn, ein anderes Mal schrieb sie über die Freude, als ihre Tochter den Studienplatz bekommen hatte. Die Traurigkeit und gleichzeitig Verständnis, als Katherine ausgezogen war. Später erwähnte sie, wie ihr Chef erzählt hatte, er würde in Kürze in den Ruhestand gehen. Dann wurden die Eintragungen regelmäßiger. Alle paar Tage, manchmal sogar jeden Tag. Katherine begann, interessiert zu lesen:
01. August 2006
Ich habe heute Morgen versucht, mit Werner über meine Gefühle zu sprechen, meine Angst vor der Veränderung. Fünfzehn Jahre bin ich nun in dem Büro. Ich hätte damit rechnen können, dass der Chef irgendwann geht. Er ist immerhin schon Mitte sechzig. Doch wenn es endlich soweit ist, will man es nicht wahrhaben. Ich habe Angst vor dem, was kommt. Es war so schwierig, mich soweit hochzuarbeiten. Ich mag Herrn Burzig. Wer weiß, was der Neue für ein Idiot ist. Wenn es stimmt, was man über ihn erzählt, trifft er seine Personalentscheidungen nach der Größe der Oberweite und der Frische der Mädchen. Da habe ich sicherlich bald ausgedient. Und wer nimmt mich dann noch? In meinem Alter zählt nicht mehr die Erfahrung, nur das Alter. Ich gebe ja zu, er sieht ganz nett aus. Aber was will das schon heißen? Werner tut das alles nur als alberne Spinnerei von mir ab. Wenn er mich doch wenigstens einmal ernst nehmen würde. Manchmal habe ich das Gefühl, wir leben nur noch nebeneinander her.
*
V alerie nippte nervös an ihrem Frühstückskaffee. Sie hatte so viele Jahre mit ihrem Chef zusammen gearbeitet, sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie es ohne ihn sein sollte. So lange Zeit war sie nun schon in der Firma, doch dass ihr Chef mehr als zwanzig Jahre älter als sie war, hatte sie erst wahrgenommen, als er von seinem bevorstehenden Ruhestand gesprochen hatte. Nun war es soweit, und Valerie sollte seinen Nachfolger kennen lernen. Er war zwar noch jung, einige Jahre jünger als sie, sollte jedoch ein erfahrener Architekt mit guten Ideen und großem Ehrgeiz sein, wie sie gehört hatte. Hoffentlich nicht so ehrgeizig, dass er gleich ein paar alte, ergraute Köpfe absägt , dachte Valerie beklommen. Das Architekturbüro wurde von drei Teilhabern geführt, die jeder ihr eigenes Team hatten. In Valeries Team arbeiten außer ihr noch zwei weitere Bauzeichnerinnen, drei Architekten – zwei Männer und eine Frau –, ein Statiker und eine Sekretärin. Ihr Chef wollte nun über kurz oder lang seine Partnerschaft abgeben, wenn alles mit seinem Nachfolger klappte. Valerie hatte sich immer gut mit ihrem Chef verstanden und sich innerhalb des Zeichnerinnenteams eine kleine Führungsposition erarbeitet. Würde sie diese halten können?
» Ich werde Herrn Burzig vermissen«, sagte sie leise.
» Wie?« Mürrisch sah ihr Mann Werner von seiner Zeitung auf.
» Ich werde ihn vermissen. Herrn Burzig«, wiederholte Valerie lauter. »Wer weiß, wie der Neue ist.«
Werner blätterte die Zeitung um. »Du wirst dich schon an ihn gewöhnen«, sagte er kurz angebunden, bevor er sich wieder in seine Lektüre vertiefte.
Wie schön, dass ich jederzeit über meine Sorgen und Probleme reden kann ,
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