Im Schatten (German Edition)
antwortete:
» Hallo Katherine. Du hör mal, es geht gerade nicht. Ich rufe nachher zurück, ja? Wird deine Nummer angezeigt?«
» Ja«, sagte sie kurz angebunden.
» Gut. Also bis nachher.« Sven legte auf, und Katherine packte eine ungeheure Wut. Warum hatte er ihr denn überhaupt seine Nummer gegeben, wenn er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte? Die nächste Stunde verbrachte sie damit, sich wild durch das Fernsehprogramm zu zappen, damit sie nur nicht an ihre Wut und Enttäuschung denken musste, doch es half nichts. Als schließlich ihr Telefon klingelte, meldete sie sich nun ihrerseits knapp und unfreundlich, doch die Stimme am anderen Ende war wie ausgewechselt.
» Hey, ich bin’s. Sven.« Seine Stimme klang nun weich und warm. »Tut mir leid, dass ich dich vorhin so abgebügelt habe. Ich war gerade mitten in einem Verhör, und das war ziemlich unangenehm. Deshalb habe ich auch nicht gleich geschaltet, wer dran war. Ich hatte mit dem Anruf eines Kollegen gerechnet, der etwas überprüfen sollte. Sorry. Kannst du mir noch mal verzeihen?«
» Du warst in einem Verhör? Am Samstagnachmittag?« Ihr Ärger war wie fortgeblasen, und als sie ihn am anderen Ende lachen hörte, musste sie unwillkürlich einstimmen.
» Darauf nehmen die bösen Buben leider keine Rücksicht.«
» Dann hast du Dienst heute?« Wie schade , dachte sie.
» Ja, aber nur noch eine Stunde. Hast du Lust, was essen zu gehen?«
» Gern!«, stimmte sie zu.
» Gut. Holst du mich um zehn nach sieben hier auf der Wache ab? Dann kann ich mich noch umziehen.«
Katherine zog sich ihrerseits um , machte sich schön zurecht und dann auf den Weg. Er verließ gerade das Gebäude, als sie dort ankam, und nach kurzer Beratung fuhren sie zu einer gemütlichen Kneipe.
» Bist du noch böse, weil ich so abweisend war am Telefon?«, fragte er sie beim Essen.
» Nein. Ich hatte mich nur gefragt, ob für dich eine Nacht mit der Hinterbliebenen zum Freund-und-Helfer-Service dazugehört.«
Sven lächelte und nahm entschuldigend ihre Hand.
»Ganz bestimmt nicht. Es tut mir wirklich leid. Es war eine ganz blöde Situation.«
» Schon gut. Du machst auch Verhöre? Ich dachte immer, so was macht die Kripo.«
» Auch. In diesem Fall war es eine Gemeinschaftsaktion. Aber erzähl du mal. Wie ist es dir in der letzten Woche ergangen?«
Katherine erzählte ihm, sie hätte angefangen, die Unterlagen ihrer Mutter durchzusehen, aber noch keine Anhaltspunkte gefunden.
Am nächsten Tag, so hatte sie sich vorgenommen, wollte sie sich endlich mit dem Tagebuch ihrer Mutter beschäftigen .
» 16. Januar 2008
Ich stelle mir immer wieder die gleiche Frage: warum? Warum nur komme ich nicht von dir los? Du bist so ein egoistisches Schwein. Du liebst niemanden als dich selbst. Du hast mich ausgenutzt, gedemütigt, verletzt. Und trotzdem liebe ich dich. Warum? Es gibt keinen Grund. Nur Argumente dagegen. Aber ein schlauer Mensch sagte einmal: Wir lieben nicht weil, wir lieben trotzdem.«
Katherine saß am Schreibtisch und hielt das Tagebuch ihrer Mutter in der Hand. Zweieinhalb Monate hatte es gedauert, bis sie sich endgültig an diese Aufgabe gemacht hatte. Zweieinhalb Monate, seit die schockierende Nachricht gekommen war. Sie hatte das Tagebuch flüchtig durchgeblättert und war an dieser Stelle hängen geblieben. Die Bitterkeit in den Worten ihrer Mutter machte sie stutzig. Hatte sie ihren Vater so gesehen? Sicherlich stimmte es, er hatte oft an sich gedacht und die Bedürfnisse seiner Frau nur selten wahrgenommen. Doch ihn als egoistisches Schwein zu bezeichnen, kam Katherine doch etwas übertrieben vor. Sven war ins Zimmer gekommen, stand nun hinter ihr und legte seine Hände auf ihre Schulter.
» Glaubst du, es ist okay in ihrem Tagebuch zu lesen?«, fragte er skeptisch.
» Ich weiß nicht. Aber vielleicht bringt es etwas Licht ins Dunkel. Ich will endlich wissen, was passiert ist. Meine Mutter war mein ganzes Leben lang für mich da. Sie war immer stark und stolz, hat mich getröstet und mit mir gelacht. Und plötzlich bringt sie sich um. Einfach so. Noch nicht einmal einen Abschiedsbrief gibt es. Keiner weiß warum. Ich will endlich wissen, was passiert ist«, wiederholte sie.
» Hatte sie Alkoholprobleme?«, fragte Sven etwas unsicher.
» Was heißt Probleme?« Katherine überlegte. »Nein, ich glaube nicht. Früher hat sie nur sehr selten etwas getrunken. In den letzten Monaten, als ich noch zu Hause gewohnt habe, hat sie öfter abends ein Glas
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